Astronomische Berechnungen für Amateure/ Druckversion/ Zeit
Sonnenzeit
[Bearbeiten]Ein Tag ist das Zeitmass, um den Sonnenlauf zu erfassen: Sonnenaufgang am Morgen, Sonnenhöchststand am Mittag, Sonnenuntergang am Abend und Sonnentiefststand unter dem Horizont um Mitternacht. Sonnenauf- und Sonnenuntergang können wir beobachten. Sofern die Sonne am Himmel sichtbar ist, können wir ihren Höchststand mit einem Gnomon[1] oder einer Sonnenuhr ermitteln. Dabei stellen wir fest:
- Die Auf- und Untergangszeiten verändern sich im Laufe der Jahreszeiten. Die Zeiten und ihre Veränderung sind auch von der geografischen Breite des Beobachters abhängig. So erfolgt z.B. der früheste Sonnenaufgang in Zürich (47° 30' N) um ca. 5:30 h, in Berlin (52° 30' N) um 4:45 h. Der späteste Sonnenuntergang findet in Zürich und in Berlin um ca. 21:30 h statt. Der späteste Sonnenaufgang tritt in Zürich und Berlin um 8:15 h ein; der früheste Sonnenuntergang schliesslich findet in Zürich um 16:30 h, in Berlin um 15:50 h statt.
- Auch die Kulminationszeiten der Sonne sind nicht konstant: eine einfache Sonnenuhr kann gegenüber einer gleichmässig laufenden Uhr bis zu 16 Minuten vorgehen (Anfang November) bzw. bis zu 14 Minuten nachgehen (Mitte Februar).
Benutzen wir also die Sonne am Himmel als Uhrzeiger – was wir tun, wenn wir eine einfache Sonnenuhr für die Zeitmessung benutzen –, dann definieren wir die Zeit zwischen zwei aufeinanderfolgenden Sonnenhöchstständen als einen wahren Sonnentag. Unterteilen wir die Zeitdauer eines wahren Sonnentags in 24 Stunden, so erhalten wir die wahre Sonnenzeit. Sie wird im bürgerlichen Alltag nicht (mehr) benutzt, denn sie hat einen gewichtigen Nachteil: eine wahre Sonnenstunde ist nicht immer gleich lang. Wir sind im Alltag gewohnt, die Zeit mit mechanischen, elektrischen oder elektronischen Uhren zu messen. Diese Uhren messen eine gleichmässig ablaufende Zeit und erreichen eine Genauigkeit, dass der unregelmässige Gang der wahren Sonne bzw. die unregelmässige Anzeige einer einfachen Sonnenuhr auffällt.
Im bürgerlichen Alltag brauchen wir ein gleichmässig ablaufendes Zeitmass. Dazu denken wir uns eine fiktive Sonne, die im Perihel[2] zusammen mit der wahren Sonne startet. Ihre jährliche Bewegung am Erdhimmel unterscheidet sich in zwei Punkten von der Bewegung der wahren Sonne:
- Sie verläuft gleichmässig, ohne Schwankungen, und erreicht nach Ablauf eines tropischen Jahres zusammen mit der wahren Sonne wieder das Perihel; zeitweise ist sie schneller als die der wahren Sonne, zeitweise ist sie langsamer. Wahre und fiktive Sonne erreichen auch gleichzeitig das Aphel[3].
- Sie verläuft entlang dem Himmelsäquator, so dass sich die Höhe der kulminierenden Sonne im Laufe eines Jahres nicht ändert
Die Zeit zwischen zwei aufeinander folgenden Kulminationen der mittleren Sonne bezeichnen wir als einen mittleren Sonnentag. Unterteilen wir die Zeitdauer eines mittleren Sonnentages in 24 Stunden, so erhalten wir die mittlere Sonnenzeit. Sie liegt der bürgerlichen Zeitrechnung im Alltag zugrunde.
Übungen
- Um welchen Winkel dreht sich die Erde im Laufe eines mittleren Sonnentages?
- Um wie viele Minuten pro Tag verändert sich die tägliche Sonnenscheindauer in Zürich bzw. in Berlin? Treffen Sie für die Rechnung vereinfachende Annahmen!
Nachweise:
- ↑ Schattenstab bzw. Schattenzeiger
- ↑ Wenn Sonne und Erde den kleinsten Abstand voneinander haben.
- ↑ Wenn Erde und Sonne am weitesten voneinander entfernt sind.
Zeitgleichung
[Bearbeiten]Im vorangehenden Kapitel haben wir von der wahren Sonnenzeit WOZ und der mittleren Sonnenzeit MOZ geschrieben. Die Differenz der beiden Zeitangaben heisst Zeitgleichung ZGL[1]:
Ist der Wert der Zeitgleichung positiv, so gibt sie an, um wieviel eine einfache Sonnenuhr gegenüber einer gewöhnlichen Uhr vorgeht. Sie hat zwei Maxima und zwei Minima sowie vier Nullstellen, vier Mal im Jahr zeigt also auch eine einfache Sonnenuhr die mittlere Sonnenzeit:
Absolute Extremwerte | Relative Extremwerte | Nullstellen | ||
---|---|---|---|---|
11. Februar | –14 min 15 sec | 15. April | ||
14. Mai | +3 min 41 sec | 13. Juni | ||
26. Juli | –6 min 30 sec | 1. September | ||
3. November | +16 min 25 sec | 25. Dezember |
Die Angaben sind als Richtgrössen zu nehmen, denn sie können sich von Jahr zu Jahr etwas ändern. Grundsätzlich setzen sich die Werte der Zeitgleichung aus zwei Effekten zusammen:
- Zum einen befolgt die Erde auf ihrer Bahn um die Sonne das zweite Keplersche Gesetz, ist also in Perihelnähe schneller als in Aphelnähe; die Bewegung der wahren Sonne ist das Abbild dieser Erdbewegung. Demgegenüber bewegt sich die mittlere Sonne mit konstanter Geschwindigkeit am Erdhimmel.
- Die mittlere Sonne bewegt sich auf dem Himmelsäquator, ändert also im Laufe eines Jahres ihre Kulminationshöhe nicht. Dagegen hat die wahre Sonne im Sommer eine deutlich grössere Kulminationshöhe als im Winter. Während sich also die mittlere Sonne unter den Hintergrundsternen von einem Tag zum nächsten nur um knapp 1° von Westen nach Osten verschiebt (Betrachtung im Kulminationspunkt), kommt bei der wahren Sonne noch eine Nord-Süd-Verschiebung dazu. Für die Zeitgleichung ist aber nur die West-Ost-Verschiebung massgebend.
Der erste Effekt hat eine Periode von einem Jahr, zwei Mal im Jahr ist er Null: anfangs Januar und anfangs Juli. Denn wir erinnern uns: wahre und fiktive Sonne starten gleichzeitig im Perihel und erreichen gleichzeitig das Aphel. Der Periheldurchgang ist aber um den 3. Januar, der Apheldurchgang um den 5. Juli. Der zweite Effekt hat eine Periode von einem halben Jahr, vier Mal im Jahr ist er Null: zu den Zeiten der Äquinoktien (21. März und 23. September) und zu den Zeiten der Solstitien (21. Juni und 21. Dezember). Addieren wir den Geschwindigkeits- und den Bewegungseffekt, so erhalten wir die bekannte Darstellung für den grafischen Verlauf der Zeitgleichung im Laufe eines Jahres.
Mehrfach wurde bisher eine „einfache Sonnenuhr“ erwähnt. Damit meinen wir eine Sonnenuhr, die einen einfachen, geraden Stab als Gnomon verwendet, und die gerade, meist radial vom Fusspunkt des Gnomon nach aussen verlaufende Linien als Stundenmarkierungen verwendet. Liest man von einer solchen Sonnenuhr die Uhrzeit ab, dann handelt es sich um die WOZ, und man muss diese Zeit mit dem für den jeweiligen Tag gültigen Wert der Zeitgleichung korrigieren, um MOZ zu bekommen. Es ist jedoch möglich, den Gnomon[2] so zu konstruieren, dass er gleich die Korrektur um die Zeitgleichung enthält. Dazu geht man von folgender Überlegung aus: trägt man in einem rechtwinkligen x-y-Koordinatensystem in Richtung der Abszisse, also der x-Achse, die Werte der Zeitgleichung ab, und in Richtung der Ordinaten, also der y-Achse, die Deklination der wahren Sonne, so erhält man eine leicht zerdrückte 8 als Grafik, das sog. Analemma. Wird der Gnomon oder werden die Stundenlinien des Zifferblattes als Analemma gestaltet, das zudem an den richtigen Stellen mit den zugehörigen Daten versehen ist, dann beinhaltet eine solche Sonnenuhr gleich die Korrektur mit der Zeitgleichung und zeigt nicht mehr WOZ, sondern die gleichmässig ablaufende MOZ. Wer die nötige Geduld und die Fähigkeiten im Umgang mit einem Bildbearbeitungsprogramm besitzt, kann ein Analemma fotografieren. Dazu wird über ein Jahr immer wieder zur exakt gleichen Zeit die Sonne fotografiert. Pro Monat sollten mindestens ein bis zwei Bilder aufgenommen werden. Setzt man die Bilder danach mit einem Bildbearbeitungsprogramm zu einem einzigen Kompositbild zusammen, so formen die Sonnenbilder ein Analemma.
Die Bahn der Erde ist über lange Zeit nicht unveränderlich, insbesondere verändern sich die Lage des Perihels und die Bahnexzentrizität. Dies beeinflusst die Bewegung der wahren Sonne am Erdhimmel. Der Himmelsäquator als Projektion des Erdäquators an die Himmelskugel ist auch nicht unveränderlich, sondern unterliegt der Präzession. All die Störungen haben zur Folge, dass sich die Bewegung von wahrer und mittlerer Sonne im Laufe der Zeit langsam ändern. Damit verändert sich aber auch die Zeitgleichung: beispielsweise war das Februarextremum vor 5000 Jahren deutlich tiefer und nimmt seither laufend ab. Dagegen wird das Juliextremum immer grösser, und in rund 2000 Jahren wird es grösser sein als das dannzumalige Februarextremum, wobei der Unterschied zwischen den beiden noch nicht sehr gross sein wird. Anders das Novemberextremum: vor 5000 Jahren war es noch kleiner als das Maiextremum, und in den nächsten 2000 Jahren wird es noch weiter anwachsen. Das Maiextremum ist dagegen in den letzten 5000 Jahren laufend kleiner geworden, und diese Abnahme wird sich auch in den nächsten 2000 Jahren noch weiter fortsetzen. So bleibt zwar über eine Zeit von rund 7000 Jahren die grundsätzliche Form der Zeitgleichungskurve mit zwei Gipfeln im Mai und November sowie zwei Tälern im Februar und Juli erhalten. Aber die Details (Höhe der Gipfel und Tiefe der Täler; welcher Wert ist absoluter, welcher relativer Extremwert) ändern sich in dieser Zeit merklich.
Übungen
- Was bedeutet die Feststellung: „Die Zeitgleichung hat am 3. November den Wert 16 min 25 s“ für die Zeitangabe einer einfachen Sonnenuhr?
- Schauen Sie in einem astronomischen Jahrbuch oder in einem Kalender nach: wann war 2007 der späteste Sonnenaufgang, wann der früheste Sonnenuntergang? Was haben diese Zeiten mit der Zeitgleichung zu tun?
Nachweis:
- ↑ Früher war die Zeitgleichung gerade mit umgekehrtem Vorzeichen definiert.
- ↑ Alternativ kann man statt des Gnomons auch die Stundenlinien auf dem Zifferblatt entsprechend gestalten.
Ortszeit
[Bearbeiten]Bei der Besprechung der Zeitgleichung im letzten Kapitel haben wir von WOZ und MOZ gesprochen. Wofür steht das O als Abkürzung? Wir haben einen Punkt noch nicht weiter beachtet: sowohl die mittlere wie auch die wahre Sonnenzeit sind über lokale Ereignisse definiert, nämlich die Kulmination der jeweiligen Sonne, es handelt sich also um Ortszeiten. Für Orte auf dem gleichen geografischen Längengrad tritt dieses Ereignis zwar gleichzeitig ein. Wenn sich aber zwei Orte in ihrer geografischen Länge unterscheiden, so besteht zwischen den Ereignissen an den beiden Orten ein Zeitunterschied, der umso grösser ist, je grösser der Längenunterschied ist. Aus der Tatsache, dass einem Längenunterschied von 360° ein Zeitunterschied von 24 h entspricht, folgern wir:
15° entspricht 1 Stunde 1° entspricht 4 Minuten 15' entspricht 1 Minute 1' entspricht 4 Sekunden
1° Längenunterschied entspricht am Äquator einer Strecke von rund 111 km, 15° dementsprechend rund 1670 km. In mittlerer geografischer Breite ϕ = 45° sind es noch knapp 79 km bzw. 1180 km. Je näher man den Polen kommt, desto kleiner wird diese Distanz.
Längengrade werden nach Vereinbarung nach Ost und nach West von einem Referenzmeridian aus je bis 180° gezählt. Dabei sind zwei Schreibweisen möglich: entweder durch Angabe der Zählrichtung E bzw. W, oder – für Rechnungen die geeignetere Form – so, dass Längen nach Ost positiv und solche nach West negativ genommen werden. Als Referenzmeridian gilt seit 1883 derjenige Meridian, der durch die alte Sternwarte von Greenwich bei London verläuft.
Kennen wir die Ortszeit OZ(A) an einem Ort A mit der geografischen Länge und die Längendifferenz zu einem Ort B mit geografischer Länge , so lässt sich die Ortszeit OZ(B) von B berechnen. Dazu müssen wir einerseits in Betracht ziehen, dass die Erde von Ost nach West rotiert, dh. in Orten, die im Osten gelegen sind, kulminiert die Sonne früher bzw. ist die Zeit fortgeschrittener als im Westen. Andererseits sehen wir aus der obenstehenden Beziehung zwischen Länge bzw. Längendifferenz in Grad und Zeit, wie der Längenunterschied in einen Zeitunterschied umgewandelt werden muss. Dann gilt:
Ist insbesondere der Ort A Greenwich, dann ist , und wir erhalten die Ortszeit an einem beliebigen Ort auf der Welt, wenn wir die Ortszeit von Greenwich kennen. Die Formel gilt sowohl für die wahre wie für die mittlere Ortszeit – einzige Bedingung: auf beiden Seiten des Gleichheitszeichens muss die gleiche Zeit verwendet werden.
Beispiel:
In Greenwich sei MOZ = 6 h (morgens). Wie gross ist die MOZ in Krasnojarsk (Sibirien), wenn , bzw. in Los Angeles, wenn ? Für Krasnojarsk ist , MOZ ist also 12 h 12 min. Für Los Angeles ist , MOZ ist also 22 h 07 min am Abend des Vortages.
Die Vorzeichenkonvention der Längengrade ist leider nicht konsistent zu der Definition, die bei Planeten angewendet wird. Dort werden Längen nach Osten negativ, solche nach Westen positiv gezählt. Dies hat den Vorteil, dass die Länge des Ortes, der auf der Mitte der Planetenscheibe zu sehen ist, infolge der Rotation wächst, wenn der Planet wie die Erde im mathematisch positiven Sinne rotiert[1].
Die obige Gleichung war in der Zeit vor der Verfügbarkeit von Navigationssatelliten wie diejenigen des GPS die entscheidende Beziehung, um die geografische Länge in unbekanntem Gelände bestimmen zu können. Besonders für die Seefahrt war dies von entscheidender Bedeutung[2]. Bevor sie aber praktisch genutzt werden konnte, mussten einerseits Uhren gebaut werden, die längere Zeit zuverlässig die Zeit anzeigen; andererseits mussten Tabellen der Zeitgleichung verfügbar sein. Beim Auslaufen aus einem Hafen mit bekannter geografischer Länge wurde die Uhr auf MOZ von Greenwich gestellt. An einem unbekannten Ort musste nun der Kulminationszeitpunkt der Sonne bestimmt werden. Dies ist der wahre Mittag, also WOZ = 12 h. Daraus findet man für den unbekannten Ort MOZ = 12 h – ZGL. Auf der Uhr liest man die Zeit MOZ für Greenwich ab, und unter Verwendung obiger Gleichung findet man die geografische Länge des unbekannten Ortes.
Im Alltag ist allerdings die Ortszeit unpraktisch. Man hat darum die Erde in 24 Streifen zu 15° Länge eingeteilt, die sogenannten Zeitzonen. Jeder Ort in dieser Zone hat nun per Definition die gleiche bürgerliche Zeit, und zwar die mittlere Ortszeit MOZ der Zonenmitte. Als erste Zone wurde diejenige mit Zonenmitte 0° und den Rändern ±7½° festgelegt. Da die Zonenmitte der Meridian von Greenwich ist, wurde sie lange Zeit als Greenwich Mean Time GMT referenziert. Seit Mitte des letzten Jahrhunderts ist statt dessen der Begriff Universal Time UT bzw. Weltzeit WZ im Gebrauch[3]. Im Osten schliesst die Zone der Mitteleuropäischen Zeit MEZ an, die gegenüber UT um 1 h vorgeht: 13 h MEZ entspricht 12 h UT. Aus praktischen Gründen werden die Grenzen der Zeitzonen den politischen Grenzen angepasst, damit nicht innerhalb eines Landes verschiedene Zeitzonen gelten[4]. In Europa, teilweise auch in anderen Ländern gilt im Sommer die Sommerzeit[5]. Dabei werden die Uhren zwischen 2 h des letzten Märzsonntags und des letzten Oktobersonntags[6] um 1 Stunde vorgestellt, um das Sonnenlicht besser nutzen zu können.
Übungen
- Welche Zeit zeigt eine Funkuhr, wenn eine einfache Sonnenuhr in a) Lublin (Polen; λ = 22° 35' E), b) Santiago de Compostela (Spanien; λ = 8° 33' W) den wahren Mittag anzeigt? Rechnen Sie konkret für die Daten 11. Februar, 14. Mai, 13. Juni und 26. Juli.
- Santiago de Compostela in Nordwest-Spanien (ϕ = 42° 53' N, λ = 8° 33' W) und Priština im Kosovo (ϕ = 42° 40' N, λ = 21° 11'E) liegen praktisch auf gleicher geografischer Breite ϕ. Dies bedeutet, dass die Sonne in beiden Orten den gleichen Bogen beschreibt. Bedeutet dies auch, dass sie an beiden Orten zur gleichen Zeit auf- und untergeht?
Nachweise:
- ↑ Mathematisch positiv bedeutet: Rotation im Gegenuhrzeigersinn, wenn wir „von oben“ auf den Nordpol blicken. Die umgekehrte Rotationsrichtung ist mathematisch negativ.
- ↑ Folgerichtig wurde denn auch das wichtigste Jahrbuch der professionellen Astronomie, der Astronomical Almanach, vom Her Majesty's Nautical Almanach Office (GB) und vom US Nautical Almanach Office herausgegeben.
- ↑ Eine umfangreiche Darstellung der verschiedenen Zeitdefinitionen inkl. ihrer historischen Entwicklung findet sich hier: http://www.ucolick.org/~sla/leapsecs/timescales.html
- ↑ Frankreich, die Benelux-Staaten und Spanien haben aus politischen Gründen ME(S)Z, liegen aber in der UT-Zeitzone; die Schweiz müsste bei strenger Auslegung zwei Zeitzonen angehören: die Zonengrenze 7½° verläuft zwischen Biel (7° 15') und Solothurn (7° 32').
- ↑ Englisch „Daylight Saving Time“ DST
- ↑ Regelung der EU und der Schweiz seit 1996.
Sternzeit
[Bearbeiten]Die Erde rotiert um ihre eigene Achse. Die scheinbare Bewegung Sonne am Erdhimmel ist nicht nur das Abbild dieser Rotation, sondern eine Kombination aus der Rotation der Erde und aus der Umlaufbewegung der Erde um die Sonne. Wollen wir die Rotation der Erde allein erfassen, so müssen wir die Bewegung eines Fixpunktes am Sternenhimmel beobachten. Üblicherweise nimmt man dafür den Frühlingspunkt. Er definiert ein neues Zeitmaß: in der Zeit von 23 h 56 min 4,091 s mittlerer Sonnenzeit dreht sich der Frühlingspunkt einmal um die Erde, überstreicht also am Erdhimmel einen Winkel von 360°. Dies entspricht einem vollen Sterntag (tropischer Tag) zu 24 Sternstunden. Das Verhältnis von Sonnen- und Sternzeit beträgt demnach:
Es ist per Definition 0 h Sternzeit, wenn der Frühlingspunkt im Meridian kulminiert. Damit ist auch die Sternzeit ein lokales Zeitmass. Sie wird gelegentlich als Local Sidereal Time LST bezeichnet. Da der Frühlingspunkt nicht wirklich fix ist, unterscheiden wir wie bei der Sonnenzeit zwischen der mittleren Sternzeit (die Definition bezieht sich auf den mittleren Frühlingspunkt) und der scheinbaren[1] Sternzeit (die Definition bezieht sich auf den wahren oder momentanen Frühlingspunkt). Der Unterschied entspricht der Zeitgleichung („equation of time“) bei der Sonnenzeit und wird als Gleichung des Äquinoktiums („equation of equinox“) oder Nutation in Rektaszension bezeichnet, hat aber eine ganz andere physikalische Erklärung: für die mittlere Sternzeit werden in der Position des Frühlingspunktes die Effekte der Nutation herausgemittelt.
Wie bei der Sonnenzeit gilt auch bei der Sternzeit der Meridian von Greenwich als Referenz: je nachdem sprechen wir von der Greenwich Mean Sidereal Time GMST bzw. von der Greenwich Apparent Sidereal Time GAST. Einer der beiden Werte wird häufig für 0 h UT in Tabellenwerken publiziert. Auf entsprechenden Seiten im Internet kann man direkt die aktuelle Sternzeit (bezogen auf die Serverzeit), oft sogar nach Wunsch für beliebige Orte, berechnen und anzeigen lassen[2]. Astronomen benötigen die lokale Sternzeit, wenn sie die exakte Position eines Objektes am lokalen Himmel bestimmen wollen, um es z.B. mit einem Teleskop anfahren und danach beobachten oder fotografieren zu können.
Die Berechnungen basieren auf folgendem Vorgehen: es gibt eine Rechenvorschrift, um GMST um 0 h UT zu einem beliebigen Datum berechnen zu können. Es existieren ebenfalls Rechenvorschriften, um die Gleichung des Äquinoktiums EE berechnen zu können. Wir werden diese Rechenvorschriften in späteren Kapiteln kennen lernen. Sind diese beiden Ausdrücke bekannt, fährt man wie folgt weiter:
Um die lokale Sternzeit um 0 h UT an einem Ort mit geografischer Länge λ zu erhalten, rechne man:
Denn wie bei der Sonnenzeit gilt auch bei der Sternzeit, dass einem Winkel von 360° eine Zeit von 24 (Stern-)Stunden entspricht. Benötigt man die Sternzeit nicht für 0 h UT, sondern für eine beliebige Zeit, dann rechnet man diese Zeit in UT-Zeit um. Um jetzt die Sternzeit zum Zeitpunkt dieser UT-Zeit zu bekommen, beachte man, dass eine Sternzeituhr 1,0027379 mal schneller als eine Sonnenzeituhr (bürgerliche Uhr) läuft, man multipliziere also diese Zeit mit dem Faktor und addiere das Produkt zum bisherigen Ergebnis, dann hat man die lokale Sternzeit:
Beispiel:
Wie gross ist AST in Krasnojarsk () um 21 h 42 min Zonenzeit, wenn und EE = –0,2317 s ist? Es ist . Krasnojarsk ist UT um 7 Stunden voraus (im Sommer 8 Stunden, da Russland auch die Sommerzeit kennt). Die Uhrzeit entspricht also 14,7h UT, also ist AST = 34 h 07 m 11,0248 s bzw. 10 h 7 m 11,0248 s, denn die Sternzeit erhöht sich wie jede andere Zeit nur bis 24 h, dann beginnt sie wieder bei 0 h.
Da die Sternzeit ausschließlich für lokale astronomische Beobachtungen und nicht als bürgerliches Zeitmaß gebraucht wird, entfällt die Notwendigkeit, Zeitzonen für die Sternzeit festzulegen. Alle Rechnungen mit Sternzeit meinen immer die Lokalzeit.
Übungen
- Wie groß ist die mittlere lokale Sternzeit im Mauna Kea-Observatorium auf Hawaii (19° 45' 32" N Breite, 155° 27' 23" W Länge) zum Zeitpunkt 20. Januar 1983, 03 h 12 m 38 s HST[3]. Benutzen Sie zur Berechnung der GMST0 den Algorithmus im Kapitel Zeitrechnungen.
- Wie groß ist die mittlere lokale Sternzeit im Anglo-Australian Observatory nördlich von Sydney in den Siding Spring Mountains (Australien; –31° 16' 37" Breite; 149° 03' 58" E Länge) zum Zeitpunkt 16. Dezember 1995, 04 h 37 m 55 s EST DST[4]. Benutzen Sie wieder den Algorithmus im Kapitel Zeitrechnungen.
Nachweise:
- ↑ Im Englischen spricht man von der Apparent Sidereal Time.
- ↑ Die bekannteste Internetseite mit einem solchen Online-Dienst ist jene des US Naval Office: http://tycho.usno.navy.mil/sidereal.html, Eingang: http://tycho.usno.navy.mil/
- ↑ HST = Hawaii Standard Time, eine der 6 US-amerikanischen Zeitzonen. Die übrigen sind: Yukon Time; Pacific Standard Time (PST); Mountain Standard Time (MST); Central Standard Time (CST) und Eastern Standard Time (EST).
- ↑ Australien umfasst 3 Zeitzonen, WST, CST und EST mit 8 h, 9½ h und 10 h Zeitdifferenz zu UT. Im südlichen Sommer (von Oktober bis März) gilt Sommerzeit (DST).
Atomzeit
[Bearbeiten]Ursprünglich war eine Sekunde definiert als der 86 400-te Teil eines mittleren Sonnentages. Wie schon mehrmals festgestellt wurde, ist aber der Tag kein konstantes Mass: Zum einen nimmt die Rotationsdauer der Erde kontinuierlich ab, zum anderen ist sie mit unregelmässigen Schwankungen behaftet. Als Grundlage für die Positionsbestimmung von Himmelskörpern genügt ein solches Zeitmass den Ansprüchen der Astronomen nicht. Die Zeit, die in der Himmelsmechanik den Bewegungsgesetzen von Planeten und Monden zugrunde liegt, läuft per Definition völlig gleichmässig ab. Wenn man also über eine Theorie verfügt, die es gestattet, die Position dieser Himmelskörper mit genügender Genauigkeit zu berechnen, und wenn man über Beobachtungsinstrumente verfügt, um diese Positionen hinreichend genau zu bestimmen, dann kann man diese Zeit feststellen. Da man statt von Positionen von den Ephemeriden der Himmelskörper spricht, heisst diese völlig gleichförmig verlaufende Zeit die Ephemeridenzeit. Sie diente auch während einer gewissen Zeit dazu, die Sekunde als sog. Ephemeridensekunde zu definieren:
Eine Ephemeridensekunde ist der 31 556 925.9747-te Teil des tropischen Jahres am 0. Januar 1900 um 12 h Ephemeridenzeit.
Der Zeitpunkt wurde so gewählt, dass Ephemeridenzeit und UT etwa übereinstimmten. Beachten Sie aber die Formulierung genau. Es heisst nicht: „…des tropischen Jahres, das am 0. Januar 1900 (…) begann“. In dieser Definition steckt implizit eine Geschwindigkeit, und zwar im folgenden Sinne[1]: zum Zeitpunkt 0. Januar 1900 12 h ET befindet sich die Erde in der Nähe des Perihels, die Sonnenposition lässt sich bezogen auf den scheinbaren Frühlingspunkt durch den Winkel[2] 279° 41' 48.04" bzw. 18 h 38 m 47.2 s beschreiben. Wäre die Sonnenbahn konstant und der Frühlingspunkt fix, dann würde dieser Winkel in einem julianischen Jahrhundert zu 36 525 Tagen um 36 000.768 925° zunehmen – der Überschuss zu 36 000° berücksichtigt, dass das julianische Jahr mit 365.25 Tagen Länge gegenüber dem tropischen Jahr etwas zu lang ist. Tatsächlich ist aber die Längenänderung nicht konstant, sondern nimmt im Laufe der Zeit zu. Dies äussert sich darin, dass die Länge noch einen quadratischen Term enthält.
Zusammengefasst: ist JD0 = 2 415 020.0 das Julianische Datum von 0. Januar 1900 12 h UT, JD das Julianische Datum eines beliebigen Zeitpunktes, dann ist
die Anzahl der seit JD0 verstrichenen julianischen Jahrhunderte. Dann gilt ( bezeichnet die Geschwindigkeit, mit der sich L in einem julianischen Jahrhundert ändert):
Zum Zeitpunkt T = 0 betrug die Geschwindigkeit 36 000.768 925° pro julianischem Jahrhundert (36 525 Tage) bzw. 360° in 365.242 199 Tagen oder 31 556 925.9747 sec. Diese Zeit hätte die Sonne tatsächlich auch für einen Umlauf von 360° benötigt, wenn in der Formel für die Länge der quadratische Term und in der Formel für die Längenänderung der lineare Term in T fehlen würden. Tatsächlich ist die Geschwindigkeit nach einem Jahr um 0.000 0061° oder 0.022" gestiegen. Damit dauert das tropische Jahr 1900 nur 31 556 925.9721 sec. Der Unterschied ist gering, aber messbar. Eine Analogie aus dem Alltag soll noch einmal den Unterschied verdeutlichen: wenn ein Radfahrer mit der Geschwindigkeit 20 km/h 30 km vom Ziel entfernt startet, dann erreicht er dieses Ziel nach 1½ Stunden, sofern er immer mit der gleichen Geschwindigkeit fährt. Wenn aber die ganze Strecke bis zum Ziel ein leichtes Gefälle aufweist und er darum immer schneller wird, dann wird er das Ziel eher erreichen.
Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Definition der Sekunde dann von astronomischen Beobachtungen losgelöst. Seither dient ein atomphysikalischer Vorgang als Definitionsbasis:
Die Sekunde ist die Dauer von 9 192 631 770 Perioden der Strahlung, die dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes des Atoms Caesium 133 entspricht
Atomuhren auf der ganzen Welt realisieren eine solche Sekunde. Die aus all diesen Uhren gemittelte Zeit ist die internationale Atomzeit TAI[3]. Sie ist die genaueste, stetig verlaufende Zeitskala, die wir heute realisieren können.
Mit der Steigerung der Messgenauigkeit liessen sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Effekte, die infolge der Einstein'schen Relativitätstheorie auftreten, nicht mehr vernachlässigen. Einerseits beeinflusst ein Gravitationsfeld wie z.B. dasjenige der Erde den Gang von Uhren, andererseits gibt es nach dieser Theorie keine Zeit, die unabhängig vom gewählten Koordinatensystem ist: es spielt eine Rolle, ob wir die Bewegung der Körper im Sonnensystem in einem Koordinatensystem beschreiben, das fest mit dem Schwerpunkt des Sonnensystems oder fest mit dem Erdmittelpunkt verbunden ist. Solche Zeitskalen werden Dynamische Zeit genannt, die erste ist die baryzentrische dynamische Zeit TDB, die zweite ist die terrestrische (dynamische) Zeit TDT bzw. TT[4].
Übung
- Welche Sekundendefinition ist genauer: diejenige der Ephemeridensekunde, oder diejenige der Atomsekunde? Begründen Sie Ihre Antwort!
Nachweise:
- ↑ Die Rechnungen gehen auf den amerikanischen Astronomen Simon Newcomb (1835 – 1909) zurück. Die modernen Werte, die wir später kennen lernen werden, beziehen sich nicht mehr auf 1900 und berücksichtigen die Fortschritte der Beobachtungstechnik, sind aber grundsätzlich unverändert.
- ↑ Dieser Winkel heisst „mittlere ekliptikale Länge der Sonne“.
- ↑ Von franz. Temps Atomique International.
- ↑ Barycentric Dynamical Time und Terrestrial Dynamical Time bzw. Terrestrial Time.
Richtige Zeit
[Bearbeiten]Wir haben eine Reihe von Zeitskalen und -definitionen kennengelernt. Welche verwenden wir als Amateure in der Arbeit mit unserem Hobby? Vor allem aber: wenn wir mehrere Skalen brauchen, wie rechnen wir die verschiedenen Skalen ineinander um? Hilfe soll die folgende Übersicht geben. Eine präzise Übersicht über alle Zeitskalen (auch diejenigen, auf die wir aus Gründen der Vereinfachung nicht eingegangen sind) mit der Veränderung ihrer Definition im Laufe der Geschichte finden Sie hier.
Die hier vorgestellten Zeitskalen lassen sich in vier Kategorien einteilen:
- Bürgerliche oder Alltagszeit
- Erdrotationsabhängige Zeitskalen: Sonnenzeit und Sternzeit
- beide Zeitskalen unterscheiden wahre und mittlere Zeit
- die Sonnenzeit wird weiterunterteilt in lokale bzw. Zonenzeit; die Sternzeit wird immer lokal behandelt
- Dynamische, dh. durch Bewegungsgesetze definierte Zeitskalen: Ephemeridenzeit, baryzentrische und terrestrische dynamische Zeit
- Atomzeit, dh. die technische Realisierung eines gleichmässig ablaufenden Zeitmasses
Am Schluss müssen alle Rechnungen und Beobachtungen in bürgerlicher Zeit vorliegen (mögliche Ausnahme: historische Berechnungen). Beobachtungsprotokolle und Vorhersagen für sehenswerte Himmelsereignisse stützen sich auf diese Zeitskala. Sie ist direkt mit der mittleren Sonnenzeit als Zonenzeit verknüpft. Für den Datenaustausch benutzt man unter Astronomen meist UT. Die beobachteten Phänomene selber sind häufig lokal. Zur Bestimmung der lokalen Position benötigt man in der Regel die lokale Sternzeit – wir werden im Kapitel „Positionsastronomie“ den Zusammenhang aufzeigen.
Wenn wir die Position von Himmelskörpern des Sonnensystems mit den klassischen Gesetzen der Physik berechnen (Ephemeridenrechnung), dann benötigen wir die dynamische Zeit. Für den Amateurastronomen ist es unerheblich, ob es sich um Ephemeridenzeit, TDT, TDB oder TT handelt. Es wurde sowieso darauf geachtet, dass 1984 bei der Ablösung der Ephemeridenzeit durch TDT und 1991 bei der Ablösung von TDT durch TT in den astronomischen Jahrbüchern die jeweils neue Skala die alte möglichst nahtlos fortsetzt. Wir benutzen darum im folgenden die drei Ausdrücke Ephemeridenzeit, dynamische Zeit und TT synonym. Die Atomzeit ist zur Zeit die technisch beste Realisierung einer dynamischen Zeit.
Was uns jetzt noch fehlt, sind die Zusammenhänge der Zeitskalen untereinander. Hier stellen wir ausführlich dar, wie UT (bürgerliche Zeit) und dynamische Zeit TT ineinander umgerechnet werden können. Doch zuvor müssen wir nochmal ausführlicher UT und seine Einheiten analysieren. Die Einheit der Zeit UT ist der Tag zu 86 400 Sekunden. Aber die Erdrotation wird im Laufe der Zeit immer langsamer. Soll die Koppelung der Alltagsgrösse UT-Tag an den zugrunde liegenden astronomischen Sonnenlauf bestehen bleiben, dann sind Massnahmen notwendig. Die Definition, wie lang eine Sekunde ist, geht auf das Ende des 19. Jahrhunderts zurück, als Simon Newcomb seine Sonnentheorie entwickelte. Er stützte sich auf ältere Beobachtungen aus dem 18. und 19. Jahrhundert, so dass der von ihm benutzte Mittelwert etwa der Situation im Jahr 1820 entsprach. Als die Ephemeridensekunde, die aus dieser Theorie abgeleitet wurde, 1967 durch die Atomsekunde abgelöst wurde, achtete man bei der neuen Definition sorgfältig darauf, dass die Länge sich nicht änderte. Ein Tag wird aber pro Jahrhundert durchschnittlich 1.4 msec länger. Seit 1820 ist ein astronomischer Tag also auf etwa 86 400.002 Sekunden Länge angewachsen, wenn man die Newcomb'sche Sekunde zugrunde legt. Die Differenz von 0.002 Sekunden zur bürgerlichen Definition wächst nach rund 500 Tagen auf 1 Sekunde an. So wird denn folgendes Prozedere verfolgt:
Nach wie vor wird der Sonnenlauf als Folge der Erdrotation verfolgt, und daraus ein UT1 genanntes Zeitmass abgeleitet. Infolge der Erdrotation verändert sich dieses Mass unregelmässig, mit einer langfristigen Tendenz, dass die Tageslänge zunimmt. Ein zweites Mass, UTC (C für coordinated) schafft die Verbindung zwischen UT1 und der Atomzeit TAI: wie die TAI verläuft sie gleichmässig, aber immer dann, wenn der Unterschied zwischen UT1 und UTC 0.9 Sekunden übersteigt, wird in UTC eine Schaltsekunde eingefügt. Damit gilt:
Darin ist dAT die Summe aller bis zum betrachteten Zeitpunkt eingefügten Schaltsekunden. Gegenwärtig (Juni 2008) beträgt dAT = 33 Sekunden und UT1 – UTC wies am 20. Juni 2008 den Wert –0.437 91 s auf. TAI und TT sind über die feste Beziehung
miteinander verbunden. Mit anderen Worten: TT und TAI laufen synchron, haben aber nicht den gleichen Ursprung. Setzen wir
wo ET die in früheren Werken benutzte Ephemeridenzeit ist, dann gilt:
Bis zum nächsten Mal eine Schaltsekunde eingefügt wird, gilt mit dAT = 33 s vereinfacht:
wo als Abkürzung für die Summe aller Korrekturen steht, und vereinfacht statt UT1 nur noch UT steht. In älteren Jahrbüchern wurde ausschliesslich publiziert. Heute holen Sie sich die Informationen vom Server des U. S. Naval Office, wobei Sie die Wahl haben, welche Grössen Sie abrufen wollen. Das USNO publiziert auch eine Prognose für eine gewisse Zeit in die Zukunft. Da aber die Änderung der Erdrotation unregelmässig erfolgt, sind solche Prognosen mit einigen Unsicherheiten behaftet.
Beispiel:
Wie gross ist der Unterschied zwischen TT und UT am 20. Juni 2008? Es ist: dAT = 33 s, dUT = –0.437 91 s, also ist .
Übungen
- Gelegentlich kann man das Argument hören: wenn man alle ein bis zwei Jahre eine ganze Schaltsekunde einfügen muss, dann ist doch die Erde in wenigen Jahrhunderten bis zum Stillstand abgebremst. Was ist an dieser Argumentation falsch?
- Was bedeutet das, wenn ΔT 1870 den Wert +1.04 s, 1872 aber –0.82 s aufwies? Was bedeutet ein positiver, was ein negativer Wert von ΔT (zwischen 1871 und 1902)?
Standardepoche
[Bearbeiten]Alle Angaben in der Astronomie sind zeitabhängig. Die Zeitskalen sind teilweise zeitabhängig, die Bewegungen verändern sich im Laufe der Zeit, und die Bezugspunkte sind nicht fix, sondern ebenfalls zeitlich veränderlich. Bei genauen Rechnungen ist es also wichtig, immer auch anzugeben, auf welchen Zeitpunkt sich diese Rechnungen beziehen. Dabei haben sich einige Standardepochen durchgesetzt, um die Vergleichbarkeit zu erhöhen:
- Epoche des Datums, aktuelle Epoche: ist angesagt, wenn es um Beobachtungen geht. Dabei ist die zugrunde liegende Zeitskala (dynamische Zeit oder UT) zu präzisieren.
- Standardepoche J2000: entspricht dem Zeitpunkt 1. Januar 2000 um 11:58:55.816 h UTC bzw. 12:00 h TDB bzw. JD 2 451 545.0 TDB; es handelt sich um die aktuell gültige julianische Epoche (daher das J), die vielen Sternkatalogen und Himmelsatlanten zugrunde liegt.
- Standardepoche B1950: in älteren Katalogen und Atlanten wird die Besselsche Epoche 1950 (daher das B) verwendet. Dies entspricht dem Zeitpunkt, wenn die mittlere Sonne die Rektaszension 280° oder 18 h 40 m aufweist, was um den 1. Januar eines Jahres der Fall ist. Konkret bedeutet B1950 den Zeitpunkt 31. Dezember 1949 22:09 h UT bzw. JD 2 433 282.423.
Der Unterschied zwischen der Besselschen und der julianischen Epoche besteht darin, dass im ersten Fall zwischen zwei Epochen eine ganze Anzahl tropischer Jahre zu 365.2422 Tagen, im zweiten Fall eine ganze Anzahl julianischer Jahre zu 365.25 Tagen liegt. 1984 hat die Internationale Astronomische Union IAU das System gewechselt und von Besselschen Epochen auf julianische Epochen umgestellt.
Wie man Koordinaten, die im einen System zur ersten Standardepoche bekannt sind, in ein System zu einer zweiten Standardepoche umrechnet, werden wir im Kapitel über die Sphärische Astronomie besprechen.
Wir haben festgehalten, dass sich das Julianische Datum immer auf eine Zeitangabe in UT bezieht. Für die Vergleichbarkeit der Angaben ist es wichtig, dass man sich auch hier auf einen Standard abstützt. Benötigt man ausnahmsweise einmal doch ein Julianisches Datum mit einer anderen Zeitskala als Referenz, dann muss man dies ausdrücklich kennzeichnen. So verwenden wir das Symbol JDE oder JD(ET), wenn die Zeitangabe in Ephemeridenzeit erfolgt. Mit JD(TT), JD(TDT) bzw. JD(TDB) bezeichnen wir ein Julianisches Datum in einer der drei Zeitskalen TT, TDT oder TDB. Wenn keine Verwechslungsgefahr besteht, verwenden wir auch für die Zeitangabe in einer der drei dynamischen Zeitskalen die Abkürzung JDE[1]. Oft wird die verwendete Zeitskala auch an das julianische Datum angehängt, wie z.B. oben bei der julianischen Standardepoche J2000. Das julianische Datum der Standardepoche selber wird oft mit JD0 abgekürzt. So kann man, wenn die Notation klar ist, schreiben: J2000 = JD0 = 2 451 545.0.
Übungen
- Wann war die Epoche J1950 bzw. B2000? Wann wird die Epoche J2050 sein?
- Wie gross ist der zeitliche Unterschied zwischen B1950 und J2000 in Tagen?
Nachweis:
- ↑ Da wir die sehr kleinen relativistischen Effekte vernachlässigen, ist diese Verwechslungsgefahr in unseren Rechenbeispielen praktisch nie gegeben.
Zeitrechnungen
[Bearbeiten]Vorbemerkung
[Bearbeiten]Verschiedene einfache Rechenvorschriften wurden bereits in den einzelnen Kapiteln angegeben. Diese Algorithmen werden hier nicht noch einmal wiederholt. Andererseits müssen wir die Vorschrift für die Berechnung der Zeitgleichung verschieben, bis wir weitere Grundlagen gelegt haben, auf denen wir dann aufbauen können. So bleiben zwei Vorschriften für dieses Kapitel übrig: die Berechnung der Sternzeit und die Berechnung des Unterschieds Ephemeridenzeit minus Weltzeit.
Bei den Rechnungen gilt es, sorgfältig auf die verwendeten Einheiten zu achten – insbesondere wenn sie unüblicherweise gemischt sind.
Sternzeit
[Bearbeiten]Die Sternzeit um 0 h UT in Greenwich kann wie folgt berechnet werden:
1) Man berechne das Julianische Datum um 0 h UT des Datums. 2) Man berechne 3) Die mittlere Sternzeit um 0 h UT in Greenwich ist dann
JD muss also auf .5 enden – andernfalls wird das Resultat falsch. Beachten Sie ebenfalls, dass der konstante Term im Sexagesimalystem als Stunden/Minuten/Sekunden angegeben ist, während die übrigen Terme in Sekunden gegeben sind! Vor der Addition sind die Einheiten anzupassen, indem entweder alles in Sekunden oder in Stunden verwandelt wird. Zum Schluss ist der Wert auf das Intervall [0;24) zu normieren – wie jede andere Zeitangabe springt sie nach 24 h auf 0 h zurück. Außer als Zwischenergebnisse haben Zeitwerte > 24 h daher keinen Sinn.
Beispiel:
Welchen Wert hatte die mittlere Sternzeit in Greenwich am 25. Dezember 2007 um 0 h UT? Es ist JD = 2 454 459.5 und somit T = +0.079 794 6612, woraus man errechnet, was auf [0;24) reduziert 6 h 12 m 31.17 s als gesuchte Lösung ergibt.
Soll die Sternzeit nicht um 0 h UT, sondern um t h UT in Greenwich berechnet werden, so geht man wie folgt vor:
1)Berechnen Sie nach der vorstehenden Methode die mittlere Sternzeit um 0 h UT zum gewünschten Datum.
2)Addieren Sie zum Ergebnis von 1) das Produkt .
Der Faktor 1.002 737 909 35 berücksichtigt, dass die Sternzeit um so viel schneller abläuft als die Sonnenzeit. Das Resultat ist zum Schluss wieder auf [0; 24) zu normieren.
Beispiel:
Welchen Wert hatte die mittlere Sternzeit in Greenwich am 25. Dezember 2007 um 20 h UT? Im vorigen Beispiel haben wir für 0 h UT gefunden: . In den 20 Stunden Sonnenzeit vergehen 20.054 758 1870 Stunden Sternzeit. Somit ist nach Reduktion auf [0;24) .
Soll die mittlere Sternzeit nicht für Greenwich, sondern für einen Ort der geografischen Länge λ° (positiv gezählt nach Osten, negativ nach Westen), dann geht man wie folgt vor:
1) Man berechne die Sternzeit für Greenwich.
2) Zum Resultat addiere man Stunden.
Man beachte, dass der Quotient für einen im Osten gelegenen Ort positiv, für einen im Westen gelegenen Ort dagegen negativ wird.
Beispiel:
Welchen Wert hatte die mittlere Sternzeit in Berlin (λ = +13.5°) am 25. Dezember 2007 um 20 h UT (entspricht 21 MEZ in Berlin)? Im vorigen Beispiel haben wir für 20 h UT in Greenwich gefunden: . Die 13.5° Längendifferenz entsprechen 0.900 h Sternzeit, somit ist in Berlin .
Benötigt man nicht die mittlere, sondern die scheinbare („apparent“) Sternzeit, dann geht man wie folgt vor:
1) Man berechne die mittlere Sternzeit nach den vorstehenden Vorschriften.
2) Zum Ergebnis addiere man .
Wenn der Term Δψ (die sog. Nutation in Länge) in Bogensekunden gegeben ist, dann ist die Korrektur in Zeitsekunden. ε ist die Schiefe der Ekliptik, der Korrekturterm ist die Gleichung des Äquinoktiums. Wir werden erst später die Rechenvorschrift angeben, wie man diese Größen berechnet. Vorläufig entnehmen wir sie einem Tabellenwerk.
Beispiel:
Welchen Wert hatte die scheinbare Sternzeit in Berlin am 25. Dezember 2007 um 20 h UT (entspricht 21 MEZ in Berlin)? Im vorigen Beispiel haben wir für die mittlere Sternzeit in Berlin zu diesem Zeitpunkt gefunden: . Aus einem Jahrbuch entnehmen wir Δψ = 8.73" und ε = 23° 26' 25". Somit beträgt die Korrektur durch die Gleichung des Äquinoktiums 0.534 s, die scheinbare Sternzeit ist also .
Zeitskalen
[Bearbeiten]Die langfristige Abbremsung der Erdrotation und ihre kurzfristigen Schwankungen laufen unregelmäßig ab. Die Unterschiede zwischen den gleichmäßig ablaufenden Zeiten und den an die Erdrotation gebundenen Zeiten können daher nur durch Beobachtung und erst im Nachhinein festgestellt werden. Diese Daten werden ebenso wie kurzfristige Prognosen laufend publiziert. Wie kritisch aber solche Prognosen sein können, zeigt folgendes Beispiel: Jean Meeus[1] veröffentlicht in seinem ausgezeichneten Buch über Astronomische Algorithmen auf Seite 86 eine Tabelle mit den Werten von für den Zeitraum von 1620 bis 1992 in Zeitabständen von 2 Jahren. Zwei Seiten vorher gibt er Prognosen und schreibt dazu: „Für Epochen in der nahen Zukunft kann man die Werte (…) extrapolieren.“ So gibt er folgende Werte: für 1993 = +60 Sekunden, 2000 = +67 Sekunden und 2010 = +80 Sekunden. In Tat und Wahrheit gilt für 1993.0 = +59.1 s, für 1993.92 = +59.9 s; für 2000.0 = +63.8 s, für 2000.92 = +64.1s; für 2010.75 lautet die aktuelle Prognose = +66.9 s. Mit anderen Worten: hat weniger zugenommen, als man zu Ende der 80-er Jahre aufgrund der früheren Entwicklungen erwarten durfte. Für die Zwecke der Amateurastronomie genügt es meist, den Wert für ein halbes oder ein ganzes Jahr konstant anzunehmen.
Die Werte von ΔT für den 1. eines jeden Monats ab dem 1.02.1973 findet man hier: aktuelles ΔT. Für die meisten Amateuranwendungen dürfte dies genügen. Wer historische Werte benötigt, findet diese jeweils für den Jahresanfang und die Jahresmitte von 1657.0 bis 1984.5 unter historisches ΔT. Wer schließlich Prognosen benötigt, findet sie hier: prognostiziertes ΔT (aktuell bis 2017).
Wer lieber mit den Bestandteilen rechnet, findet dUT = UT1 – UTC für das aktuelle Datum und eine Prognose über 1 Jahr hier: dUT , die Angabe zu den Schaltsekunden hier: Schaltsekunden.
Alle Links beziehen sich auf Publikationen des International Earth Rotation and Reference Systems Service (IERS) Prediction Center, einer Abteilung des U.S. Naval Office, das man hier findet: IERS Prediction Center. Die Fülle der hier gebotenen Informationen ist aber erschlagend, der Anfänger braucht Zeit, bis er weiß, welche Information für ihn die richtige ist.
Es kann trotzdem wünschbar sein, eine Schätzung für die Größe von ΔT zu rechnen. Dafür gibt es eine Reihe von Formeln, die mehr oder weniger brauchbare Resultate liefern. Im folgenden werden einige Formeln angegeben. Es soll aber nochmals darauf aufmerksam gemacht werden: wegen des unregelmäßigen Charakters der Änderungen in den Erdrotationsparametern handelt es sich bei den berechneten Werten um Schätzungen oder Näherungen, die mit der nötigen Sorgfalt behandelt werden müssen. Dies gilt besonders dann, wenn die Formel nur für einen eingeschränkten Zeitraum gilt und versucht wird, außerhalb dieses Zeitraums Werte zu berechnen.
Ist ein Wert von ΔT für ein Jahr J gefragt, für das der IERS keine Daten liefert, so kann ein genäherter Wert wie folgt berechnet werden:
1) Es sei J die Jahrzahl (inkl. Dezimalbruchteil), für die eine Schätzung berechnet werden soll, und JD das zugehörige Julianische Datum. 2) Berechnen Sie , die Anzahl seit J2000.0 verflossener Jahrhunderte. 3) Diese Formeln liefern gleichwertige Schätzungen für ΔT:
Diese drei Formeln gehen auf Morrison und Stephenson[2] zurück. Für die Zeit vor 1600 liegen von Stephenson und Morrison bzw. Stephenson und Houlden weitere Näherungsformeln vor:
1) Berechnen Sie , die Anzahl seit J2000.0 verflossener Jahrhunderte, bzw. , die Anzahl seit 1800 verflossener Jahrhunderte. 2) Diese Formeln liefern eine Schätzung für ΔT zu verschiedenen Zeiten, und zwar für Jahre von -390 bis +948: (Ia) +948 bis +1600: (Ib) bzw. vor +948: (IIa) +948 bis +1600: (IIb)
ΔT ergibt in allen Fällen einen Wert in Sekunden. Beachten Sie, dass im Gültigkeitsbereich der Formeln sowohl m < 0 als auch n < 0 gilt. Hier ist im weiteren ein Online-Rechner[3] für verschiedene Näherungen von ΔT zu finden. Das IERS publiziert schließlich für seine Prognosen von dUT gleich auch noch eine Formel, wie der Ausdruck weiter extrapoliert werden kann.
Beispiel:
Wie groß war ΔT zum Zeitpunkt der Kalenderreform von Papst Gregor? Der 4. Oktober 1582 ist Tag Nr. 277 im Jahr und JD 2 299 159.5, folglich ist ΔT für 1582.759 gesucht. Die drei Formeln der ersten Box liefern 153 Sekunden, die Formel (Ib) 120 Sekunden und die Formel (IIb) 161 Sekunden. Es hat keinen Sinn, das Resultat genauer angeben zu wollen. Mit dem Online-Rechner finden wir: Reingold-Dershowitz 153 Sekunden; Hempe und Molt 97 Sekunden; Thielen (1. Version) 276 Sekunden; Thiele (2. Version) –219 Sekunden; Newcomb Ahnert 307 Sekunden; regelmäßige Änderung von 0.0016 s/Jhdt. 295 Sekunden – die Spannweite ist also sehr groß. Übrigens: der nächstgelegene Wert der historischen Reihe des USNO stammt aus dem Jahr 1657 und beträgt 44 Sekunden mit einem geschätzten Fehler von 12 Sekunden. Wiederholen wir die Rechnungen noch für den Tag der Ermordung Caesars, den 15. März –43 ("Iden des März") bzw. –43.203 (JD 1 705 425.5). Die Rechnungen liefern der Reihe nach 11 140 s, 10 510 s; 10 410 s; 11 140 s; 9 920 s; 10 340 s; 10 750 s; 11 490 s; 11 030 s – alle Schätzformeln liefern in diesem Fall ein Ergebnis in der Größenordnung von 3 Stunden (entspricht 10 800 s).
Die Ergebnisse zeigen, wie vorsichtig man solche Schätzungen behandeln muss. Ein weiterer Hinweis kann der nebenstehenden Grafik entnommen werden: sie zeigt den Verlauf von ΔT von 1973 bis 2008. Deutlich zu erkennen ist, dass zwischen 1973 und 1985 und wieder zwischen 1990 und etwa 1998 ein steiler Anstieg von ΔT erfolgt ist, unterbrochen von einem leicht weniger steilen Anstieg zwischen 1985 und 1990. Es zeigt sich aber auch, dass sich der Anstieg seit 1998 deutlich abgeflacht hat. Solche unregelmäßigen Verläufe beeinflussen die Prognosen bzw. Extrapolationen sehr stark.
Nachweise:
- ↑ Astronomische Algorithmen; Jean Meeus; 1992, Verlag Johann Ambrosius Barth, Leipzig/Berlin/ Heidelberg; ISBN 3-335-00318-7
- ↑ L. V. Morrison and F. R. Stephenson, Sun and Planetary System; 96 (1982) 73, zitiert nach [Meeus, 1992], a.a.O.
- ↑ Link: Online-Rechner