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Gotisch/ Band1/ Einfacher Satz

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Ein Satz im Allgemeinen besteht im einfachsten Falle aus den Satzgliedern Subjekt, Prädikat und Objekt. Diese können durch optionale Elemente, die Attribute, erweitert werden. Die gotischen Bibelübersetzer versuchten den Satzbau der griechischen Originalvorlage weitestgehend beizubehalten. Das deutet auf eine relativ freie Stellung der Satzglieder hin bzw. darauf, dass die altgriechische Satzstellung, die einer Umstellung der Satzglieder bereits sehr offen gegenüberstand, dem der gotischen nicht allzu fern war.

Bsp. für unterschiedliche Satzstellungen:
S-O-P: sa saijands waurd sijiþ (Mk 4:14) "Der Sämann säht das Wort"
P-O-S: jah qaþ im Iesus: ... (Mk 1:17) "Und Jesus sagte ihnen:"
S-P-O: jah is andniman ina ana armins seinans ... (Lk 2:28) "und er nahm ihn an seine Hand"

Ein Satz mit Kopula und prädikativem Adjektiv folgt hingegen, abgesehen von Befehlssätzen und mitunter negierten Sätzen, regulär der Worstellung Adjektiv Kopula: uswahsans ist "Er ist erwachsen" (Joh 9,23). Unterschiede in Verbstellung im Hauptsatz und im Nebensatz lassen sich ebenso ausfindig machen. So stehen, ähnlich wie im Deutschen, Adverbien im Hauptsatz nach dem Verb, im Nebensatz vor dem Verb: sa galeiþiþ inn "er geht hinein", aber saei inn galeiþiþ "der hinein ging".

Subjekt

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Das Subjekt steht wie in allen indogermanischen Sprachen im Nominativ. Das Gotische ist eine sog. Pro-Drop-Sprache, das heißt, dass die Personalpronomen in Subjektstellung wegfallen können (daher Pronouns drop "Pronomen (ent)fallen"). Dies ist für die Verständigung kein Hindernis, da die Endung des Prädikat bereits Person und Numerus des Subjekts anzeigt. Wird das Pronomen realisiert, hängt dies mit der Betonung zusammen, wobei sich auch hier die Schreiber meist an die griechische Vorlage orientierten.

Bsp. eines fehlenden Pronomens:
jah qath du im: ...
"Und [er/sie/es] sagte zu ihnen: ..."

Bei Impersonalverben fungiert im Deutschen das Wort "es" als unpersönliches Subjekt, wie z. B. bei "Es regnet". Im Gotischen ist zu beachten, dass einige Impersonalverben das logische Subjekt als direktes Objekt regiert und somit im Akkusativ steht. Der Übersetzter muss in diesem Fall das Akkusativobjekt als Subjekt wiedergeben. Darunter fallen die Wörter gretan "hungern", huggrjan "hungern" und þaursjan "Durst haben".

jabai hvana [Akk.] þaursjai, gaggai du mis jah driggkai.(Joh 7:37)
"Wenn wer Durst hat, der möge zu mir kommen und trinken."

Prädikat

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Wie auch im Deutschen muss das flektierte Verb in Numerus und Person mit dem Subjekt kongruieren. In der traditionellen Satzlehre können Hilfsverben kein eigenständiges Prädikat bilden, sondern formiert sich als sog. Kopula mit einem sog. Prädikatsnomen erst zum Prädikat. Das Prädikatsnomen kongruiert zusätzlich im Kasus und Genus mit dem Subjekt. Im Gegensatz zum Deutschen gilt das ebenso für Adjektive, Partizipien und Pronomen.

Bsp. eines Satzes mit Kopula (ist) und Prädikatsnomen (gabaurans):
þatei gabaurans [Nom|3.Sg.|Mask.] ist [3.Sg.] izwis himma daga nasjands [Nom|3.Sg|Mask.] (Lk 2:11a)
"Dass euch heute der Erlöser geboren wurde."

Mitunter kommt es zur Inkongruenz zwischen Prädikat und Subjekt. Belegt sind folgende Fälle:

  1. þata dient gelegentlich in alleinstehender Subjektposition als geschlechtsübergreifendes Demonstrativpronomen:
niu þata [Neutr.] ist sa timrja [Mask.] (Mk 6:3)
"Und das ist nicht der Zimmermann?"
  1. Steht das Prädikatsnomen vor dem Subjekt kann es neutral flektiert werden:
... gatarniþ [Neutr.] ist sunja [Mask.] (1. Timo 6:5)
"geraubt ist die Wahrheit"
  1. Feminine und neutrale Nomen haben nicht selten ein maskulines Adjektiv oder Partizip bei sich:
mikils [Mask.] ist gagudeins runa [Fem.] (1. Timo 3:16)
"Groß ist das Geheimnis der Frömmigkeit"
  1. Ist das Subjekt ein Kollektiv (Sammelbegriff), so können die Numeri nicht übereinstimmen:
alls hiuhma [Sg.] was manageins beidandans [Pl.] (Lk 1:21)
"Die ganze Vielzahl der Leute hat gewartet"

Eine feste Regel bildet dagegen die mehrgeschlechtliche Neutralität. Ein Adjektiv, ein Partizip und ein Pronomen wird neutral, wenn es sich auf Personen mit verschiedenen Genera bezieht:

Bsp. für mehrgeschlechtliche Neutralität:
  • Zakarias [Mask.] [... jah] Aileisabaiþ [Fem] [...] Ba [Neutr.] framaldra [Neutr] wesun. (Lk 1:7)
"Zacharias [... und] Elisabeth [...] Beide waren bejahrt."

Meringer (Kuhns Zeitschrift 27:238f.) führt dies auf den indogermanischen Dual des Maskulinums mit der Endung zurück. Auslautendes idg. wurde im Gotischen -a fortgeführt und fiel so mit den Endungen des Neutrums zusammen. Die Goten empfanden den ursprünglichen maskulinen Dual so als neutralen Plural und entwickelten entsprechend diese Regel.

Objekt

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Das Verb regiert die Objekte. D. h. es legt fest, wie viele Objekte in der Verbalphrase erscheinen und in welchem Kasus sie jeweils stehen. Verlangt das Verb nur ein Akkusativobjekt, so nennt man es transitiv, in allen anderen Fällen, intransitiv. Sprachanfänger müssen stets beachten, dass die Objektkasus des fremdsprachlichen Verbes sich nicht mit den Objektkasus des deutschen Verbes decken muss. Bei einigen Verben ist das Objektskasus nicht eindeutig, z. B.

ei usdribeina imma (Lk 9:40) mit Dativobjekt
"sie trieben ihn aus"
usdreibands allans (Joh 8:37) mit Akkusativobjekt
"treib[t] alle aus"

Mitunter kann ein wechselnder Objektskasus auch einen Bedeutungswechsel mit sich ziehen:

anahaitan: mit Dativ "schelten" - mit Akkusativ "anrufen"
gasakan: mit Dativ "drohen" - mit Akkusativ "überführen"
uskiusan: mit Dativ "verwerfen" - mit Akkusativ "prüfen"
kausjan: mit Dativ "kosten, kennenlernen" - mit Akkusativ "prüfen"
fraþjan: mit Dativ "verstehen" - mit Akkusativ "der Meinung sein"

Gleichsetzungsnominativ

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Steht das regierte Objekt im Nominativ, so nennt man es einen Gleichsetzungsnominativ (auch Nominativobjekt), wie z. B. im deutschen Satz "Ich [Subj.] heiße Peter [Nom.Obj.]". Im Gotischen kann das Nominativobjekt bei folgenden Verben auftreten

wisan "sein", wairþan1 "werden", sitan "sitzen", standan "stehen" und þugkjan "dünken, halten für"
Bsp.
lukarn [Nom.] leikis ist augo [Nom.]: [...] (Mt 6:22)
"Das Licht des Körpers ist das Auge"

Der Gleichsetzungsnominativ tritt ebenso bei einigen Verben im Passiv auf, vgl. Kapitel Passivsatz.

1wairþan kann auch mit der Präposition du "zu" gebraucht werden.

Doppelter Akkusativ

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Ähnlich dem deutschen Gleichsetzungsakkusativ ("Ich nenne dich einen Lügner") kann im Gotischen neben einem Akkusativobjekt noch ein zweiter, prädikativer Akkusativ erscheinen. Die Verben sind meist im semantischen Bereich des Tuns, Nennens oder Dünkens einzuordnen. Eine wörtliche Übersetzung ist - abgesehen vom Gleichsetzungsakkusativ - meist nicht möglich.

alt:

Seimon þanei [Akk.] jah namnida Paitru [Akk.] [...] (Lk 6:14)
"Simon, den man auch Petrus nannte [...]"

In einigen Fällen erscheint das zweite Objekt im Nominativ, einem aufgelösten Gleichsetzungakkusativ. In diesen Fällen ist das "Objekt" als eigenständiger Satz zu verstehen. Man beachte aber, dass dieser nicht im Vokativ steht:

Bsp. eines aufgelösten Gleichsetzungsakkusativ:
  • jus wopeid mik: laisareis jah frauja (Joh 13:13)
"Ihr ruft mich: Lehrer und Herr"

Innerer Akkusativ

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In einigen Fällen können intransitive Verben ein Akkusativobjekt besitzen, sog. innerer Akkusativ. Dies kann vor allem dann auftreten, wenn Prädikat und Objekt vom selben Wortstamm abgeleitet sind. Bei den wenigen Belegen wurde nach der griechischen Vorlage übersetzt.

Bsp.:
haifstei þo godon haifst galaubeinais (1. Timo 6:12)
"Kämpfe den guten Kampf des Glaubens"

Genitivobjekt

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Verben, die ein Genitivobjekt regieren, finden sich im Gotischen häufiger als im Deutschen (z. B. "Wir gedenken der Toten"). Semantisch drücken diese Verben meist einen Gedanken, eine Wahrnehmung oder ein Streben aus. Der partitive Ursprung (vgl. Genitiv partitivus) ist oft noch zu erkennen.

Bsp. von Verben mit Genitivobjekt:
gamunan, hausjan, bisaihvan, gamaudjan, bidjan, fraihnan, fraisan, wopjan, beidan, gairnjan, gripan, hilpan, freidjan, luston, gaweison, sildaleikjan