Deine Meinung zählt – Gestalte unsere Lerninhalte mit!
Wir entwickeln neue, interaktive Formate für die Hochschulmathematik. Nimm dir maximal 15 Minuten Zeit, um an unserer Umfrage teilzunehmen.
Mit deinem Feedback machen wir die Mathematik für dich und andere Studierende leichter zugänglich!
Wir haben die Reihen als unendliche Summe kennen gelernt. Wie geht man aber mit ihr um? Darf man bei unendlichen Summen dieselben Rechenregeln anwenden, die für endliche Summen gelten? Kann man beispielsweise „wahllos“ Klammern setzen und entfernen (Assoziativgesetz der Addition) oder Summanden „nach Lust und Laune“ umordnen (Kommutativgesetz der Addition)? Nein, nicht unbedingt: Wie wir sehen werden, gibt es beim Setzen von Klammern und beim Umordnen von Summanden bei Reihen Einschränkungen. Jedoch gibt es auch nützliche Rechenregeln: So darf man konvergente Reihen miteinander addieren und diese mit einer Konstanten multiplizieren.
Im Kapitel zu den Grenzwertsätzen von Folgen haben wir unter anderem gezeigt, dass
für konvergierende Folgen
und
ist. Auch für Reihen können ähnliche Sätze gezeigt werden. So gelten die folgenden Formeln für konvergente Reihen
und
sowie für eine Konstante
:
Ferner konvergiert eine Reihe
, wenn die beiden Reihen
und
konvergieren, welche man erhält, wenn man die Reihe aufteilt. Dabei ist:
Innerhalb einer konvergenten Reihe
können neue Klammern eingefügt werden. Es gilt also:
Dabei ist
die streng monoton steigende Folge natürlicher Zahlen mit
, bei der
jeweils den Index der ersten Summanden einer Klammer bezeichnen. Demgegenüber können bei divergenten Reihen beliebig viele Klammern weggelassen werden. Divergiert nämlich die Reihe
, dann divergiert auch die Reihe
.
Was bei Reihen nicht so einfach funktioniert
[Bearbeiten]
Für die Partialsummen gilt:
. Das Multiplizieren von zwei oder mehr Reihen ist bei weitem komplexer, derart, dass wir es hier nicht behandeln werden.
Ein allgemein gültiges Assoziativ- und Kommutativgesetz für Reihen existiert nicht. Bei endlichen Summen kommt es nicht auf die Reihenfolge der Summanden an, man darf sie also nach Belieben umordnen und ebenso nach Belieben darf man Klammern setzen und entfernen: Nicht aber bei unendlichen Summen, denn das Setzen bzw. Entfernen von Klammern sowie das Umordnen von Gliedern ist bei Reihen nicht zwangsläufig wirkungslos. An Stelle eines allgemeinen Assoziativ- und Kommutativgesetz für Reihen gibt es stattdessen den Umordnungssatz und das Cauchy-Produkt für Reihen. Bei diesen gelten jedoch zusätzliche Voraussetzungen an die konvergenten Reihen.
Satz (Summenregel für Reihen)
Seien
und
zwei konvergente Reihen. Dann gilt
Aufgabe (Summenregel für Reihen)
Berechne den Wert der Reihe
.
Lösung (Summenregel für Reihen)
Es gilt
Weil die einzelnen Reihen konvergieren, durften wir die Summenregel anwenden.
Satz (Faktorregel für Reihen)
Sei
eine konvergente Reihe und sei
eine beliebige reelle Zahl. Es ist dann:
Beweis (Faktorregel für Reihen)
Es ist:
Dabei dürfen wir
verwenden, weil
konvergiert und damit der Grenzwert
existiert.
Aufgabe
Berechne
.
Lösung
Es ist
Wegen der Konvergenz der Reihe durften wir die Faktorregel anwenden.
Beweis (Aufteilungsregel für Reihen)
Diese Regel ist eine Folgerung aus der obigen Summenregel. Zunächst schauen wir uns die beiden Reihen
und
an. Zu ihnen gehören die Partialsummenfolgen:
Zunächst bilden wir zwei neue Folgen
und
, indem wir
und
geschickt mit Nullen auffüllen:
Zu diesen Folgen zugehörigen Partialsummenfolgen lauten damit:
Da
und
konvergieren, konvergieren auch
und
, wobei für die Grenzwerte dieser Reihen gilt:
Aus der Summenregel folgt, dass
konvergieren muss. Nun ist
für alle
. Damit muss auch
konvergieren, wobei
Aufgabe (Aufteilungsregel für Reihen)
Sei
Berechne den Wert der Reihe
.
Lösung (Aufteilungsregel für Reihen)
Es gilt
Weil die Reihe konvergiert, durften wir die Rechenregeln anwenden.
Warum es kein allgemeines Assoziativgesetz für Reihen gibt
[Bearbeiten]
Bei endlichen Summen ist es dank des Assoziativgesetzes der Addition erlaubt, beliebige Klammern zu setzen. Beispielsweise ist
Analog gilt
Bei unendlichen Reihen müssen wir hingegen aufpassen. Betrachten wir in Analogie die Reihe
Diese Reihe hat die folgende Folge von Partialsummen:
Diese Folge springt zwischen den Werten
und
hin und her und ist damit divergent (da sie mit
und
zwei verschiedene Häufungspunkte besitzt). Durch Setzen von Klammern erhalten wir jedoch eine gegen Null konvergente Reihe:
In einer divergenten Reihe dürfen Klammern nicht beliebig gesetzt oder weggelassen werden, da sonst das Konvergenzverhalten der Reihe verändert werden kann. Obiges Beispiel zeigt auch, dass bei konvergenten Reihen Klammern nicht weggelassen werden dürfen. Die obige Reihe
ist konvergent. Wenn wir aber die Klammern weglassen, erhalten wir die Ausgangsreihe
, welche divergiert.
Gegen
konvergiert die Klammerung
Eine Klammerung, die gegen
konvergiert, ist nicht möglich.
Beispiel: Eine Situation, wo Klammern gesetzt werden können
[Bearbeiten]
Betrachten wir die konvergente Reihe
. Diese Reihe stellt die unendliche Summe
dar. Zu ihr gehört die Partialsummenfolge:
Was passiert, wenn wir neue Klammern in der unendlichen Folge einfügen? Beispielsweise können wir zwei benachbarte Summanden durch eine Klammer zusammenfassen und erhalten so den Ausdruck
. In der Reihenschreibweise erhalten wir
. Damit erhalten wir folgende Partialsummenformel
Diese Partialsummenfolge ist eine Teilfolge der ursprünglichen Partialsummenfolge. Nun konvergiert die Reihe
und damit auch die dazugehörige Partialsummenfolge. Da bei konvergenten Folgen auch jede Teilfolge gegen denselben Grenzwert konvergiert, muss auch die neu geklammerte Partialsummenfolge
gegen denselben Grenzwert wie die ursprüngliche Partialsummenfolge konvergieren. Es ist also möglich, Klammern in Reihen zu setzen.
Wann Klammern gesetzt und weggelassen werden können
[Bearbeiten]
Wenn wir in einer Reihe benachbarte Summanden durch Klammern zusammenfassen, bevor die Reihe gebildet wird, dann entsteht eine Teilfolge der ursprünglichen Partialsummenfolge. Nun gilt:
- Konvergiert eine Folge, dann konvergiert jede Teilfolge.
- Divergiert eine Teilfolge, dann divergiert auch die ursprüngliche Folge.
Da Klammersetzung in einer Reihe eine Teilfolge der ursprünglichen Partialsummenfolge ergibt, erhalten wir:
- In konvergierenden Reihen können Klammern beliebig gesetzt werden.
- In divergenten Reihen können Klammern beliebig weggelassen werden.
Wir erhalten den folgenden Satz:
Beweis (Klammersetzen in Reihen)
Sei
eine konvergente Reihe. Durch Einführung neuer Klammern entsteht die Reihe
, wobei
eine streng monoton steigende Folge natürlicher Zahlen mit
. Die Zahl
ist dabei jeweils der Index des ersten Summanden, welcher in einer Teilsumme durch eine Klammersetzung zusammengefasst wird. Die dazugehörige Partialsummenfolge lautet
Dies ist eine Teilfolge der ursprünglichen Partialsummenfolge. Nun konvergiert eine Folge genau dann gegen einen Grenzwert, wenn jede ihrer Teilfolgen gegen denselben Grenzwert konvergiert. Daraus folgt:
- Konvergiert
so konvergiert auch ihre Teilfolge
gegen denselben Grenzwert.
- Divergiert die Teilfolge
, so divergiert auch
.
Damit können in konvergenten Reihen beliebig Klammern gesetzt und in divergenten Reihen beliebig Klammern weggelassen werden.
Warnbeispiel: Summe aller natürlichen Zahlen gleich -1/12?!
[Bearbeiten]
In vielen Youtube-Videos und Presse-Artikeln[1] findet sich ein „Beweis“, dass die Summe der natürlichen Zahlen gleich
sei:
Diese offensichtlich falsche Aussage zeigt, was passiert, wenn mit falschen Grenzwerten hantiert und die Rechenregeln für Reihen ohne Prüfung der Voraussetzungen angewendet werden. Der „Beweis“ dazu lautet wie folgt: Zunächst gilt mit der Formel für die geometrische Reihe:
Verständnisfrage: Was ist daran falsch?
Weiter erhalten wir für die Reihe
die Identität
Verständnisfrage: Was ist hier falsch?
Dividieren wir diese Gleichung durch
, so erhalten wir
. Subtrahieren wir nun dies von unserer ursprünglichen Reihe
, so ergibt sich
Verständnisfrage: Wo liegen hier die Fehler begraben?
Daraus folgt
q.e.d. bzw. w.t.f.
Für Reihen
und
sowie
geltenden die folgenden Rechenregeln:
Mit Hilfe des Begriffs des Vektorraums und der lineare Abbildungen können diese Regeln auch so interpretiert werden: Die Menge aller reellwertigen Folgen
bildet unter der punktweisen Addition und der skalaren Multiplikation einen Vektorraum (Vektorräume sind Mengen, deren Elemente man addieren und skalieren kann). Aus den obigen Regeln folgt, dass die Menge
aller Folgen
, bei denen die Reihe
konvergiert, ein Untervektorraum der Menge
aller Folgen ist. Außerdem ist die Abbildung
, die einer Folge
den Grenzwert von ihrer Reihe
zuordnet, eine lineare Abbildung.