Im Folgenden wird auf die klassische Mechanik in ihrer Hamilton'schen
Formulierung zurückgegriffen. Diese gibt für einen Phasenraumpunkt
, bestehend aus einer verallgemeinerten
Orts- bzw. Impulskoordinate, ein Bewegungsgleichungspaar an, die sog.
Hamilton'schen Bewegungsgleichungen. Sie lassen sich mit Hilfe der
sog. Poissonklammer,
,
und einer Hamiltonfunktion (oder Energiefunktion)
aufstellen:
,
.
Diese Gleichungen ändern unter einer sog. kanonischen Transformationen
mit
nicht ihre Gestalt. Mit der Poissonklammer
formuliert, sollen also die folgenden Hamilton'schen Bewegungsgleichungen
in den neuen Koordinaten gelten:
,
.
Für die verallgemeinerten Koordinaten ,
die aus den Koordinaten durch
eine kanonische Transformation hervorgehen, müssen dabei die folgende
Poissonklammer-Ausdrücke gelten:
,
,
.
In der Literatur wird im Zusammenhang mit den kanonischen Transformationen
oft der Satz von Liouville zitiert. Dieser besagt im Wesentlichen,
dass sich das sog. „Phasenraumvolumen“ im Laufe der Zeit nicht verändert.
Ein Punkt im sog. „Phasenraum“ zu einer Zeit t wird für ein eindimensionales System, auf das
wir uns hier der Einfachheit wegen beschränken werden, durch ein Koordinatenpaar
charakterisiert. Zu einem etwas
späteren Zeitpunkt , nämlich nach einer infinitesimal
kleinen zeitlichen Änderung dt, befinde sich das System im Phasenraumpunkt
. Die neuen Koordinaten
gehen also aus den alten durch
eine infinitesimale Verschiebung mit der Zeit hervor:
,
.
Dieses infinitesimale Fortschreiten mit der Zeit kann auch als kanonische
Transformation aufgefasst werden, da die Poissonklammer
bis einschließlich der Ordnung dt gleich Eins ist:
,
weil
- ,
- ,
- ,
in die Poissonklammer
eingesetzt, einen Koeffizienten
von dt erzeugen.
Das sog. (infinitesimale) Phasenraumvolumen
bleibt bei dieser infinitesimalen Zeitverschiebung unverändert:
,
weil hier für die Jacobi-Determinante (oder Funktionaldeterminante)
gilt.
Der Satz von Liouville besitzt insbesondere in der statistischen Mechanik
große Bedeutung, wo mit sog. \textquotedbl{}Wahrscheinlichkeitsdichten\textquotedbl{}
gearbeitet wird, die
etwas darüber aussagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit in einem Vielteilchensystem
zu einer bestimmten Zeit t ein Teilchen im Phasenraumpunkt
vorzufinden ist. Die Wahrscheinlichkeit, ein solches System zur Zeit
t in einem beliebigen Phasenraumpunkt vorzufinden, muss
Eins sein, was sich folgendermaßen formulieren lässt:
,
d.h. es wird über die Wahrscheinlichkeiten aller Phasenraumpunkte
summiert. Diese Normierungsbedingung für die Wahrscheinlichkeitsdichte
muss für alle Zeiten gelten, was infinitesimal bedeutet, dass
folgende Eigenschaft der Wahrscheinlichkeitsdichte erfüllt sein muss:
,
was wegen auf
führt. Entwickeln wir jetzt um dt, dann
erhalten wir hieraus (bis einschließlich der Ordnung ):
,
woraus wiederum
folgt. Hieraus ergibt sich eine sog. \textquotedbl{}Kontinuitätsgleichung\textquotedbl{}
, die sog. \textquotedbl{}Liouville'sche Gleichung\textquotedbl{},
was sich durch Umstellen und mit Hilfe der Hamilton'schen Gleichungen
,
zeigen lässt:
,
weil
.
Wegen der Hamilton'schen Gleichungen kann die Liouville'sche Gleichung
aber auch mittels Poissonklammer ausgedrückt werden:
.
Die Kontinuitätsgleichung lässt sich mit Hilfe des Phasenraumvektors
und der Phasenraumgeschwindigkeit sowie mittels Nabla-Operator sehr einfach darstellen
.
Wird über das gesamte Phasenraumvolumen V integriert, resultiert
aus der Kontinuitätsgleichung mit Hilfe des Gauß'schen Satzes
,
wobei im letzten Schritt angenommen wurde, dass der Integrand auf
dem Rand des Phasenraumvolumens V
verschwindet. Die Wahrscheinlichkeit ,
das System in einem beliebigen Phasenraumpunkt vorzufinden, hängt
also nicht explizit von der Zeit ab, sondern ist zeitlich konstant.
Da diese Konstante zum Zeitpunkt t nach Voraussetzung Eins war,
ist sie es auch für alle Zeiten.
Im sog. \textquotedbl{}thermodynamischen Gleichgewicht\textquotedbl{}
soll die Wahrscheinlichkeitsdichte nicht mehr
explizit von der Zeit abhängen:
.
Dies ist nach der Liouville'schen Gleichung unter der (hinreichenden
aber nicht unbedingt notwendigen) Bedingung
erfüllt, was sich mit Hilfe der Hamilton'schen Gleichungen und der
Kettenregel zeigen lässt:
.
Dies ist ein möglicher Ausgangspunkt für die statistische Mechanik,
was wir auch im nächsten Kapitel sehen werden.