Zum Inhalt springen

Tarot/ Anwendungen/ Die Reise des Helden

Aus Wikibooks

Die Reise des Helden

[Bearbeiten]

Die klassischen Heldenepen folgen oft einer bestimmten Dramaturgie. Ein Außenseiter, mit dem niemand rechnet und der nur vage Vorstellungen von der Welt hat, erlebt eine Reihe von Prüfungen. Er bekommt von ihnen nur am Rande mit, dass es eigentlich elementare Prüfungen sind, und wird am Schluss, oft zu seinem Erstaunen, zum großen Helden. Ganz klassisch ist diese Dramaturgie bei Artus und Parzival vorhanden, in modernerer Form in der Unendlichen Geschichte von Michael Ende. Bei diesen Geschichten ist zuerst das "reine Herz" der Helden von zentraler Bedeutung. Ihre Absichten sind rein, oder sie werden unabsichtlich in ihr Schicksal gestoßen. Sie haben das Herz am rechten Fleck, wie man sprichwörtlich sagt, und das ist es, was sie am Schluss zu Helden macht. Aber zu Beginn sind sie gerade durch diese Rechtschaffenheit und Ehrlichkeit und Schlichtheit Ausgestoßene in einer Welt, in der Unrecht, Selbstsucht und Prahlerei herrschen. Es sind, mit einem Wort: Narren. Diese Narren leben oft in einer eigenen Welt, sei dies abgeschieden von der Welt wie Parzival oder in einer Welt der Bücher wie Bastian Baltasar Bux. Dadurch bewahren sie etwas in sich, was anderen, die in der Welt und ohne Phantasie leben, verloren geht. Man könnte sagen, sie haben eine Erinnerung an das Paradies in sich bewahrt.

Eine solchen Narren treffen wir auch im Tarot wieder, etwas weltfremd und verträumt, aber dafür voller Leichtigkeit des Seins. Aber diese Losgelöstheit vom Sein kann nicht ewig dauern, und der Narr wird aus seiner eigenen kleinen Welt herausgerissen, oft durch jemand oder etwas, der ihm eine Verantwortung auferlegt, die ihm zuerst allzu groß scheint. Aber er wird herausgerissen und befindet sich nun plötzlich in einer Welt, in der er sich nicht auskennt. Aber just in diesem Moment bekommt er eine Hilfestellung in Form eines Vorbildes oder gar eines Lehrers in Form eines Merlins, eines Magiers. Diese Vorbilder bringen dem Narren sehr viel bei, und der Narr identifiziert sich sehr stark mit ihnen, eifert ihnen nach. Und wieder fühlt er sich sehr sicher und befindet sich in seiner eigenen Welt. Aber plötzlich wird er mit einer höheren Kraft konfrontiert, einer Vorsehung oder einer Vision oder einem Schrei von innen, der in einem Buch widerhallt. Er spürt einen Ruf und kann nicht sagen, ob dieser Ruf von innen oder außen kommt, oder er steht an einer Schwelle zu einem Tempel, hinter der eine Stimme zu vernehmen ist: Die Stimme der Hohepriesterin...

So oder ähnlich kann man die Reise des Helden im Tarot darstellen - als Initiationsweg, der den Narren hin zur Welt, zur Erfüllung führt. Wir wollen hier nicht die ganze Geschichte darstellen, denn damit "die Reise des Helden" Erkenntnis bringt, muss sie individuell sein. Jeder muss sich die Reise des Helden selber erzählen - und immer wieder, immer wieder anders, vielleicht auch in einer anderen Reihenfolge.

Bei der Reise des Helden ist der Narr selber keine Prüfung, denn der Narr ist der Protagonist dieser Geschichte. Er ist derjenige, der sich die Reise des Helden selber erzählt, oder, wenn jemand literarisch begabt ist, der Hauptcharakter der Geschichten, die er erzählt. Darum hat die Reise des Helden 21 Initiationsstufen, 21 Prüfungen.


Die ersten sieben Prüfungen sind die weltlichen Prüfungen:

  • Der Magier:
→ Hier muss sich der zukünftige Held mit sich selber auseinandersetzen und wird mit sich selbst konfrontiert. Meist geschieht dies, wie schon gesagt, durch ein Vorbild oder einen Lehrer. Dadurch bekommt der Narr/Held Selbstbewusstsein.
  • Die Hohepriesterin:
→ Hier folgt die Konfrontation mit dem Heiligen, Ewigen, mit dem, was über einen hinausgeht und so das Selbstbewusstsein nicht zu Egoismus ausarten lässt. Dadurch lernt man Demut.
  • Die Herrscherin:
→ Hier wird man mit der Welt konfrontiert. Man findet seinen Platz darin wie auch seine Verantwortung der Welt gegenüber.
  • Der Herrscher:
→ Hier lernt man Verpflichtung und die Regeln des Herrschens und Dienens, hier entscheidet sich, ob man gerecht herrschen kann oder ob man ein Tyrann ist, und ob man auch gut Dienen kann, ohne dass man sich erniedrigt.
  • Der Hierophant:
→ Hier lernt man die Sprache der Religionen, die von Nöten sind, um die eigenen Erlebnisse zu kommunizieren. Man lernt, dass man durch Sprache und Symbole in der Lage ist, von Dingen zu berichten, die schwer oder nicht fassbar sind. Es entscheidet sich hier, ob man Religionen als Dogma versteht und intolerant gegen andere Meinungen vorgeht, oder ob man Religionen als Sprache versteht und auch versucht, andere Sprachen zu verstehen.
  • Die Liebenden:
→ Hier lernt man, dass im Geben eine Freude sein kann und dass Liebe die Grundlage des eigenen Seins ist. Hier wird geprüft, ob man andere Menschen nur um seiner selbst Willen liebt oder um ihrer selbst Willen.
  • Der Wagen:
→ Der Wagen ist im Grunde genommen der krönende Abschluss der ersten 6 Prüfungen. Die Prüfung ist hier, ob man weiter gehen wird oder auf dem schon Geschafften verharrt und dadurch stagniert.


Die zweiten sieben Prüfungen sind geistiger Natur:

  • Die Kraft:
→ Hier muss man lernen, seine Kraft zu bändigen und sein Ego im Angesicht der Ewigkeit zurückzunehmen.
  • Der Eremit:
→ Hier lernt man Ausdauer und Standhaftigkeit, auch wenn einen nichts und niemand einen bekräftigt.
  • Rad des Schicksals:
→ Hier lernt man, dass man über das Schicksal keine Macht hat, und lernt auch, das Gute wie das Schlechte zu akzeptieren - je nachdem, was einem zufällt.
  • Gerechtigkeit:
→ Hier lernt man kluges und gerechtes Urteilen, nicht auf Grund von Vorurteilen, sondern auf Grund eingehender Prüfung (Die Augen der Iusticia sind nicht verbunden). Man lernt, Gnade walten zu lassen, wo Gnade angebracht ist, aber auch hart zuzupacken, wo Härte verlangt wird.
  • Der Gehängte:
→ Hier lernt man die Welt auch aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen und auch einen humoristischen Blick auf die Welt zuzulassen.
  • Der Tod:
→ Hier wird man sich seiner Sterblichkeit und der Endlichkeit aller Dinge bewusst und lernt, dem Tod nüchtern und ohne Angst in die Augen zu sehen.
  • Mäßigkeit:
→ Parallel zum Wagen ist die Mäßigkeit der krönende Abschluss der zweiten Reihe der Prüfungen. Man hat das innere Gleichgewicht gefunden und ist gefestigt, aber nicht verbohrt. Auch hier ist die Frage, ob man weitergehen und möglicherweise alles verlieren oder ob man sich auf den Lorbeeren ausruhen soll.


Die dritte Reihe zeigt die spirituellen Prüfungen:

  • Der Teufel:
→ Hier wird man mit allem möglichen versuchen, sich von seinem Weg abzulassen und sich dem Halbwissen und der Knechtschaft an heimzugeben.
  • Der Turm:
→ Hier wird der eigene Glaube auf die Probe gestellt durch Unglück und "Gottes ungerechte Strafen".
  • Der Stern:
→ Hier wird man geprüft, ob man demütig alles annehmen kann, was einem gegeben wird und ob man in der Lage ist, zu teilen.
  • Der Mond:
→ Hier wird man an den Schatten der eigenen Vergangenheit geprüft, die einen im Schlaf verfolgen.
  • Die Sonne:
→ Hier wird man im Rausch geprüft, indem einem vorgegaukelt wird, man habe das Ziel schon erreicht.
  • Gericht:
→ Die letzte Prüfung: Hier wird geprüft, ob die hehren Absichten, die man einst hatte, nicht verloren gingen, und ob man somit die eigene Integrität behalten hat.
  • Die Welt:
→ Hier wird man nicht mehr geprüft, denn man hat alle Prüfungen bestanden und ist der Held der Geschichte.


Die Prüfungen der drei Reihen sind nicht chronologisch nacheinander, sondern verlaufen parallel. Es kann gut möglich sein, dass man schon drei spirituelle Prüfungen hinter sich hat, während man noch keine materielle Prüfung bestanden hat. Und es kann auch sein, dass man manche Prüfungen mehrmals im Leben durchläuft und andere nie. Es ist auch nicht so, dass diese Prüfungen stets als solche erscheinen müssen. Der Tarot gibt nur ein grobes Raster vor, ist aber nicht unfehlbares Dogma. Und wie jede Einteilung, jede Kartographie und jede Ordnung sind die durch den Tarot formulierten Prüfungen eine Abstraktion der Wirklichkeit, die natürlich gefärbt ist von einer bestimmten Sicht der Dinge.