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Verwaltungsrecht in der Klausur/ Die Fälle / Fall 3

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§ 2 Übungsfälle zur Anfechtungsklage

Fall 3: Drittanfechtungsklage gegen eine Baugenehmigung: „Von Landwirten und Windmühlen“

Autor der Ursprungsfassung ist Hendrik Burbach

Dieser Fall ist unter der Creative-Commons-Lizenz BY-SA 4.0 offen lizenziert.


70 Lernziele/Schwerpunkte: Klagebefugnis bei Drittanfechtungsklagen; Klagefristproblematik bei Drittanfechtungsklagen; Öffentlicher Belang nach § 35 III 1 Nr. 3 BauGB

Sachverhalt

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71 Die Renewables (R) GmbH ist auf die Errichtung und den Betrieb hochmoderner Windräder spezialisiert. Sie ist Marktführerin in dem Segment der mittelgroßen Anlagen, die sie zumeist außerhalb von dicht besiedelten Gebieten aufbaut und betreibt. Hierdurch stellt sie die Versorgung vieler Haushalte mit Strom sicher und leistet einen nicht unerheblichen Beitrag zur Umsetzung der Energiewende.

Ihr aktuellstes Projekt plant die R GmbH im Außenbereich der Stadt Bonn. Dort sollte ein Mikro-Windpark mit zwei mittelgroßen Windrädern gebaut werden. Am 20.05.2018 erhielt sie von der zuständigen Behörde, dem Bauamt der Stadt Bonn, eine Baugenehmigung für den geplanten Windpark mit der Auflage, die immissionsschutzrechtlichen Anforderungen zu erfüllen.

Das Grundstück der Anlage grenzt unmittelbar an die im Eigentum des Landwirts B stehenden Ackerflächen. Dieser bewirtschaftet mehrere Hektar Land. Im weiteren Umkreis des Hofes des B befinden sich noch vereinzelte Bauernhöfe. Nördlich des Grundstücks der R GmbH beginnt eine großflächige Waldfläche, die aufgrund ihres gut ausgebauten Wegenetzes als Naherholungs- und beliebtes Wandergebiet für die Bonner Bürger sowie die Menschen aus dem Umland dient.

Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens hat die Stadt Bonn mit Vertretern der R GmbH im August 2016 einen Ortstermin auf der zuvor bereits von dieser erworbenen Grundstücksfläche durchgeführt. Der B sah die Vertreter der Stadt und der R zufällig beim Vorbeifahren mit dem Traktor. Auf seine Nachfrage berichteten diese ihm von dem Vorhaben. Bereits Ende 2017 begann das von der R beauftragte Bauunternehmen damit, die Fläche für den Baubeginn abzustecken. Im Juli 2018 begann die R mit den ersten Ausschachtungen. Als B dies sah, empörte er sich, dass die R GmbH nun endgültig Tatsachen schaffe. Am 30.07.2018 erhob er deshalb Klage bei dem zuständigen Verwaltungsgericht.

B befürchtete, dass durch die Errichtung der Windanlagen seine Ernte beeinträchtigt werden könnte. Zudem hegte er Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Anlage, da durch die ständigen Licht- und Schattenwechsel und die Geräusche der sich drehenden Rotoren der Anlage mit einer psychischen und physischen Beeinträchtigung seiner mehr als 1.000 Schweine zu rechnen sei. Deren Stall liegt zwar rund 500m von der Anlage entfernt, jedoch seien derartige Auswirkungen mehr als wahrscheinlich. B denkt, dass die R GmbH nicht ungeachtet anderer Interessen ihr Projekt realisieren könne, sondern auch auf ihn Rücksicht nehmen müsse.

Weiterhin ist B auch passionierter Wanderer. Dazu nutzt er vor allem das Waldgebiet um seinen Hof. Er fürchtet, dass durch die Rotation der Windräder der Erholungscharakter des Waldes geschmälert werde. Insbesondere sei durch den erzeugten Krach keine vernünftige Wanderung mehr möglich.

Ein von der R GmbH eingeholtes Sachverständigengutachten des Sachverständigen S kommt zu dem Schluss, dass durch die Windräder der Erholungscharakter des Waldes nur marginal beeinträchtigt werde. Der Sachverständige ist der Auffassung, dass dies vor dem Hintergrund des raschen Umstiegs auf erneuerbare Energien hinzunehmen sei und letztlich auch im Interesse jeden Einzelnen liege. Die R GmbH behauptet, B könne sich unabhängig von der tatsächlichen Beeinträchtigung nicht auf diesen Aspekt berufen, da dieser keinen Drittschutz gewähre.

Der Sachverständige kommt in seinem Gutachten ferner zu dem Schluss, dass durch die von den Rotoren geworfenen kurzzeitigen Schatten die zu erwartende Ernte des B um etwa ein Drittel reduzieren könnten. Auch seien die Einflüsse auf die Schweine nicht nur marginal, obwohl diese überwiegend in dem Stall gehalten werden.

Die R GmbH behauptet zudem, die Klage des B sei bereits verfristet, da die einmonatige Anfechtungsfrist der Baugenehmigung bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung abgelaufen war.

Hat die Klage des B Aussicht auf Erfolg?

Bearbeiter*innenvermerk: Es ist zu unterstellen, dass das Vorhaben genehmigungsbedürftig und bauordnungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Die Baugenehmigung ist formell rechtmäßig ergangen. Der Windpark erfüllt zudem die immissionsschutzrechtlichen Vorgaben der Baugenehmigung. Das Land NRW hat von der Ermächtigung des § 68 I 2 Nr. 1 VwGO, nicht aber von § 78 I Nr. 2 VwGO Gebrauch gemacht.

§ 74 BauO NRW:

(1) Die Baugenehmigung ist zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen.

 (2) Die Baugenehmigung bedarf der Schriftform. Sie ist nur insoweit zu begründen, als Abweichungen oder Befreiungen von nachbarschützenden Vorschriften zugelassen werden und der Nachbar nicht nach § 72 Absatz 2 zugestimmt hat. Eine Ausfertigung der mit einem Genehmigungsvermerk versehenen Bauvorlagen ist der Antragstellerin oder dem Antragsteller mit der Baugenehmigung zuzustellen.

(…)

Lösungsgliederung

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72 A. Zulässigkeit der Klage

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
II. Statthafte Klageart
III. Klagebefugnis
1. Drittschützender öffentlicher Belang gem. § 35 III 1 Nr. 3 BauGB
2. Drittschützender öffentlicher Belang gem. § 35 III 1 Nr. 5 BauGB
3. Zwischenergebnis
IV. Vorverfahren
V. Klagegegner
VI. Beteiligten- und Prozessfähigkeit
VII. Klagefrist
VIII. Zwischenergebnis

B. Beiladung

C. Begründetheit der Klage

I. Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung
1. Ermächtigungsgrundlage
2. Formelle Rechtmäßigkeit
3. Materielle Rechtmäßigkeit
a) Anwendbarkeit der §§ 30 ff. BauGB
b) Zulässigkeit des Vorhabens nach § 30 BauGB
c) Zulässigkeit des Vorhabens nach § 35 BauGB
aa) Privilegiertes Vorhaben nach § 35 I Nr. 5 BauGB
bb) Kein entgegenstehender öffentlicher Belang
II. Rechtsverletzung

D. Ergebnis

Lösungsvorschlag

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73 Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.

A. Zulässigkeit der Klage

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74 Die Klage müsste vor dem Verwaltungsgericht zulässig sein.

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

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75 Zunächst müsste der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein. Mangels aufdrängender Sonderzuweisung richtet sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach der Generalsklausel des § 40 I 1 VwGO. Hierzu bedarf es einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art sowie keiner abdrängenden Sonderzuweisung.

Zunächst müsste eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegen. Eine Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidende Norm eine solche des öffentlichen Rechts ist.[1] Die streitentscheidenden Normen, vorliegend insbesondere § 75 BauO NRW, entstammen dem öffentlichen Baurecht. Diese ermächtigen und verpflichten ausschließlich die zuständige Behörde als Träger hoheitlicher Gewalt zur Erteilung bzw. Versagung der begehrten Baugenehmigung. Nach der sog. modifizierten Subjektstheorie[2] handelt es sich somit um eine öffentlich-rechtliche Norm.

Mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit ist die Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art. Eine abdrängende Sonderzuweisung liegt nicht vor.

Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 I 1 VwGO eröffnet.

II. Statthafte Klageart

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76 Fraglich ist sodann, welche Klage für das Klagebegehren des Klägers statthaft ist, vgl. § 88 VwGO. B begehrt vorliegend die Kassation der R erteilten Baugenehmigung, also eines Verwaltungsakts i.S.d. § 35 1 VwVfG. In Betracht kommt daher eine (Dritt-) Anfechtungsklage nach § 42 I 1. Alt VwGO.

III. Klagebefugnis

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77 Weiterhin müsste B auch klagebefugt sein. Dies ist bei einer Anfechtungsklage nach § 42 II VwGO der Fall, wenn er geltend machen kann, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Diesbezüglich genügt es, wenn die Möglichkeit der Verletzung in eigenen Rechten durch den Verwaltungsakt besteht.[3] Allerdings wurde die Baugenehmigung nicht dem B persönlich, sondern der R GmbH erteilt. Die Adressatentheorie ist in diesem Fall unanwendbar. Es ist vielmehr mittels der Schutznormtheorie zu untersuchen, ob durch die der R GmbH erteilte Genehmigung eine Verletzung gerade dem Schutz des B dienender Rechtspositionen möglich erscheint. B könnte allerdings als Eigentümer des an den geplanten Windpark angrenzenden Grundstücks in einem auch ihn schützenden Recht betroffen sein. Das setzt wiederum voraus, dass er geltend machen kann, in einem drittschützenden Recht verletzt zu sein. Nach der Schutznormtheorie ist ein Recht drittschützend, wenn es nicht nur ausschließlich dem Interesse der Allgemeinheit dient, sondern vielmehr auch dem Schutz individueller Rechte und einem abgrenzbaren Kreis von Begünstigten zusteht.[4]

Eine solche Rechtsposition könnte hier aus § 35 I, III Nr. 3 und 5 BauGB folgen. Hierzu müsste die der R GmbH erteilte Baugenehmigung einen öffentlichen Belang im Sinne des § 35 BauGB verletzen. Der Begriff des öffentlichen Belangs wird in § 35 III BauGB zwar beispielhaft konkretisiert, nicht aber definiert.[5] Es handelt sich um einen auslegungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriff. Zwar begründen öffentliche Belange regelmäßig keine subjektiven Rechte, hier könnten dem Kläger jedoch eine hinreichend individualisierbare und gefestigte, somit wehrfähige Rechtsposition zustehen, die ausnahmsweise eine Klagebefugnis begründet.

1. Drittschützender öffentlicher Belang gem. § 35 III 1 Nr. 3 BauGB

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78 Von den geplanten Windrädern könnten schädliche Umwelteinwirkungen i.S.d. § 35 III 1 Nr. 3 BauGB ausgehen. Solche sind nach § 3 I BImSchG Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft hervorzurufen.[6] Die Normierung der schädlichen Umwelteinwirkungen in § 35 III 1 Nr. 3 BauGB stellt dabei eine Ausprägung des allgemeinen baurechtlichen Gebotes der Rücksichtnahme dar.[7] Mithin liegt in § 35 III 1 Nr. 3 BauGB eine wehrfähige Rechtsposition vor, deren mögliche Verletzung die Klagebefugnis des Klägers begründet. Ferner besteht auch die Möglichkeit, dass die geplanten Windräder gegen diesen Belang verstoßen. B befürchtet, dass durch die Windräder und den damit einhergehenden ständigen Licht- und Schattenwechseln sowohl seine Ernte als auch die Gesundheit der von ihm gehaltenen Schweine beeinträchtigt würden.

2. Drittschützender öffentlicher Belang gem. § 35 III 1 Nr. 5 BauGB

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79 Eine weitere mögliche Rechtsverletzung könnte hier in der Verletzung des öffentlichen Belangs des § 35 III 1 Nr. 5 BauGB bestehen. Vorliegend könnte der Erholungscharakter des angrenzenden Waldgebietes beeinträchtigt werden. Grundsätzlich ist der Erholungswert der Landschaft vor heranrückender Bebauung zu schützen.[8] Fraglich ist jedoch, ob dieser Belang auch eine Rechtsposition darstellt, die die individuellen Interessen des B schützt. Dies ist nicht der Fall. Der Erholungswert der Landschaft ist lediglich mit Rücksicht auf die Erholungsbedürfnisse der Allgemeinheit zu bestimmen.[9] Mithin vermittelt diese Norm keine wehrhafte Rechtsposition für den Einzelnen.

3. Zwischenergebnis

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80 Der Kläger war damit aufgrund der Möglichkeit einer Verletzung seiner Rechte aus § 35 III 1 Nr. 3 BauGB klagebefugt.

IV. Vorverfahren

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81 Die Durchführung eines Vorverfahrens ist nach § 110 I JustG NRW entbehrlich.

V. Klagegegner

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82 Klagegegner ist nach dem Rechtsträgerprinzip die Stadt Bonn, § 78 I Nr. 1 VwGO.

VI. Beteiligten- und Prozessfähigkeit

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83 Der Kläger als natürliche Person ist nach § 61 Nr. 1 1. Alt. VwGO, die Beklagte als juristische Person gemäß § 61 Nr. 1 2. Alt. VwGO beteiligtenfähig. Die Prozessfähigkeit für den Kläger folgt aus § 62 I VwGO, für die Beklagte aus § 62 III VwGO.

VII. Klagefrist

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84 Weiterhin müsste die Klage fristgerecht erhoben worden sein. Da ein Widerspruchsverfahren nicht durchzuführen war, richtet sich die Klagefrist nach § 74 I 2 VwGO. Danach ist die Klage einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Fraglich ist allerdings, ob diese Frist bereits in Gang gesetzt worden ist. Der R GmbH ist die Baugenehmigung am 20.05.2018 bekannt gegeben worden. Eine Bekanntgabe der Baugenehmigung gegenüber B durch die Behörde liegt nicht vor. Somit ist die Klagefrist mangels Bekanntgabe des Verwaltungsakts nicht in Gang gesetzt worden. Auch richtet sich die Klagefrist in diesen Konstellationen nicht nach § 58 II VwGO. Die Einlegung des Rechtsbehelfes wird lediglich durch das Institut der Verwirkung begrenzt. Hierzu bedarf es grundsätzlich eines Zeit- und Umstandsmomentes. In analoger Anwendung des § 58 II VwGO beläuft sich das Zeitmoment auf rund ein Jahr. B hat am 30. Juli 2018, kurz nach dem Beginn der Erdarbeiten, Klage gegen die dem B erteilte Baugenehmigung erhoben. Mithin ist die Klage nicht verfristet.

VIII. Zwischenergebnis

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85 Die Klage ist zulässig.

B. Beiladung

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86 Hier kann eine Entscheidung nur einheitlich gegenüber der Beklagten sowie der R GmbH ergehen. Die R GmbH ist folglich nach §§ 63 Nr. 3, 65 II VwGO notwendig beizuladen.

C. Begründetheit der Klage

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87 Die Klage müsste auch begründet sein. Dies ist nach § 113 I 1 VwGO bei der Anfechtungsklage der Fall, soweit der angegriffene Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger hierdurch in seinen Rechten verletzt ist. Bei einer Drittanfechtungsklage ist dies nur der Fall, soweit die Baugenehmigung gegen nachbarschützende Normen verstößt. Vorliegend könnte die Baugenehmigung der E rechtswidrig erteilt und die Klägerin hierdurch in ihren Rechten aus § 35 III Nr. 1 Nr. 3 BauGB verletzt worden sein.

I. Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung

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1. Ermächtigungsgrundlage

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88 Ermächtigungsgrundlage für die Baugenehmigung ist § 74 I BauO NRW.

2. Formelle Rechtmäßigkeit

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89 Die Baugenehmigung ist laut Bearbeiter*innenvermerk formell rechtmäßig.

3. Materielle Rechtmäßigkeit

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90 Die Baugenehmigung ist laut Bearbeitervermerk bauordnungsrechtlich rechtmäßig. Als entgegenstehende öffentlich-rechtliche Vorschriften i.S.d. § 74 I BauO NRW kommen daher nur die bauplanungsrechtlichen Vorschriften der §§ 29 ff. BauGB in Betracht.

a) Anwendbarkeit der §§ 30 ff. BauGB
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91 Zunächst müssten die Vorschriften der §§ 30 ff. BauGB vorliegend anwendbar sein. Das setzt voraus, dass das Vorhaben der R GmbH eine bauliche Anlage nach § 29 I BauGB darstellt. Bauliche Anlagen sind alle Anlagen, die auf Dauer künstlich mit dem Boden verbunden sind und bodenrechtliche Relevanz aufweisen.[10] Dies ist bei der Errichtung der Windräder der Fall. Somit stellen die geplanten Windräder ein Vorhaben nach § 29 I BauGB dar. Die Vorschriften der §§ 30 ff. BauGB sind mithin anwendbar.

b) Zulässigkeit des Vorhabens nach § 30 BauGB
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92 Das Vorhaben liegt nicht innerhalb eines qualifizierten Bebauungsplanes, so dass § 30 BauGB nicht anwendbar ist.

c) Zulässigkeit des Vorhabens nach § 35 BauGB
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93 Das Vorhaben liegt im Außenbereich der Stadt Bonn. Seine Zulässigkeit folgt mithin aus § 35 BauGB.

aa) Privilegiertes Vorhaben nach § 35 I Nr. 5 BauGB
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94 Die Windenergieanlagen sind privilegierte Vorhaben nach § 35 I Nr. 5 BauGB. Diese dienen der öffentlichen Versorgung mit Elektrizität.[11]

bb) Kein entgegenstehender öffentlicher Belang
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95 Weiterhin dürfte dem privilegierten Vorhaben kein öffentlicher Belang entgegenstehen. Ein solcher ist in § 35 III BauGB nicht definiert, der Absatz enthält vielmehr einen nicht abschließenden Katalog öffentlicher Belange. In Betracht kommt vorliegend § 35 III 1 Nr. 3 BauGB. Danach liegt eine Beeinträchtigung vor, wenn das Vorhaben schädlichen Umwelteinwirkungen hervorrufen kann. Eine baurechtliche Definition des Begriffs der schädlichen Umwelteinflüsse besteht nicht. Hierzu kann jedoch auf die Vorschriften des BImSchG zurückgegriffen werden. Schädliche Umwelteinwirkungen sind nach § 3 I BImSchG Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Derartige Beeinträchtigungen sind den Betroffenen grundsätzlich nicht zuzumuten.[12] Somit bestimmt § 3 I BImSchG die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für Nachbarn und konstatiert somit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme für das Baurecht.[13] Die Beurteilung der schädlichen Umwelteinwirkungen stellt insoweit eine besondere Ausprägung des baurechtlichen Gebots der Rücksichtnahme dar. Aus dem Gebot der Rücksichtnahme folgt für den Bauherrn die Maßgabe, dass er sein Grundstück nur derart bebauen darf, dass er höherrangige Belange der Nachbarn nicht verletzen darf. Dabei gilt der Grundsatz, dass je schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden.[14] Hierbei ist im Einzelfall eine Abwägung zwischen den Interessen des Rücksichtnahmepflichtigen und des -begünstigten vorzunehmen.

Die von den Rotoren verursachten Geräusche, die nach dem BImSchG zu beurteilen sind, verstoßen nach dem Bearbeitervermerk nicht gegen immissionsschutzrechtliche Vorschriften.

Fraglich ist allerdings, ob von den kurzfristigen Schattenwürfen der Rotoren schädliche Umwelteinflüsse ausgehen. Hierbei kann grundsätzlich nicht auf die Vorschriften des BImSchG zurückgegriffen werden. Es handelt sich hierbei nicht um eine nach einem Rechtssatz zu messende Beeinträchtigung, so dass eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist.[15]

B befürchtet durch den Schattenwurf eine Beeinträchtigung seiner Ernte und negative Einflüsse auf die physische und psychische Verfassung seiner Schweine. Diese Annahme wird durch das Gutachten des Sachverständigen gestützt. Nach diesem ist eine Ernteeinbuße von etwa einem Drittel zu befürchten. Auch sei mit einer nicht bloß marginalen Beeinträchtigung der Schweine zu rechnen. Dies kann auch nicht dadurch verhindert werden, dass die Schweine ausschließlich im Stall gehalten werden. Zwar beträgt die Distanz zwischen dem Windpark und dem Hof des B 500m, dennoch ist in den Stallungen mit deutlichen Auswirkungen der zu errichteten Anlage zu rechnen.

Demgegenüber steht das Interesse der R GmbH an der Errichtung des Windparks. Gerade in Zeiten der Energiewende und dem damit verbundenen Umstieg auf volatile Energieträger bedarf es eines breiten Netzes dezentraler Produktionsstätten. Auch tragen kleine Windparks zu der Gewährleistung der Versorgungssicherheit der Städte und Gemeinden bei. Zudem ist das Interesse der R GmbH zu berücksichtigen, die durch den Erwerb des Grundstücks sowie den ersten Arbeiten bereits Investitionen in den Windpark getätigt hat.

In Abwägung der widerstreitenden Interessen überwiegt das des B. Dieser würde durch die Errichtung des Windparks und den davon ausgehenden schädlichen Umwelteinwirkungen in seiner Existenzgrundlage gefährdet. Durch die zu erwartenden Ernteausfälle sowie die erheblichen Auswirkungen der Anlage auf die 1.000 Schweine des B ist davon auszugehen, dass eine wirtschaftliche Führung des Hofes nicht mehr möglich sein wird. Auch ist nicht absehbar, ob aufgrund des Schattenwurfs überhaupt noch Tierhaltung auf dem Hof möglich sein wird. Zwar ist der Außenbereich gerade für privilegierte Vorhaben wie das der Errichtung eines Windparks vorgesehen, jedoch handelt es sich bei dem Hof des B um ein ebenfalls nach § 35 I Nr. 1 BauGB von dem Baurecht privilegiertes Vorhaben. Zwar ist die Errichtung des Windparks zwar für die langfristige Gewährleistung der Versorgungssicherheit notwendig und daher privilegiert. Jedoch dient das in § 35 III 1 Nr. 3 BauGB normierte Gebot der Rücksichtnahme gerade dazu, in diesen Fällen einen schonenden Ausgleich aller betroffenen Interessen zu gewährleisten. Somit überwiegen vorliegend die Interessen des B denen der R GmbH. Die Baugenehmigung war daher rechtswidrig.

II. Rechtsverletzung

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96 Weiterhin müsste B auch als Nachbar in seinen Rechten verletzt sein, § 113 I 1 VwGO. Hierbei muss er sich auf eine drittschützende Norm berufen können. Als nachbarschützendes Recht kommt, wie bereits dargelegt, § 35 III 1 Nr. 3 BauGB als Ausfluss des Gebots der Rücksichtnahme in Betracht. Die tatsächliche Beeinträchtigung des drittschützenden Rechts müsste auch über das Zumutbare hinausgehen.[16] Vorliegend haben die von dem geplanten Windpark ausgehenden Umwelteinwirkungen erheblichen Einfluss auf die Führung des Hofbetriebes. Dem B drohen erhebliche Ernteeinbußen und darüber hinaus ist auch die Tierhaltung auf dem Hof selbst in Stallungen nicht ohne weiteres möglich.

Mithin ist B durch die rechtswidrig erteilte Baugenehmigung in nicht zumutbarer Weise beeinträchtigt. Das in § 35 III 1 Nr. 3 BauGB kodifizierte Gebot der Rücksichtnahme gewährt ihm vorliegend Drittschutz. Eine Rechtsverletzung nach § 113 I 1 VwGO liegt vor.

D. Ergebnis

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97 Die Klage des B ist zulässig und begründet. Somit hat sie Aussicht auf Erfolg.


Fußnoten

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  1. W.-R. Schenke/Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 40, Rn. 6; Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. 2019, Rn. 1324.
  2. Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 40, Rn. 302.
  3. W.-R. Schenke/ R. P. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 42 Rn. 66.
  4. S. Burbach, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, 2020, § 2 Rn. 296 f.
  5. Finkelnburg/Ortloff/Kment, Öffentliches Baurecht, Band I: Bauplanungsrecht, 7. Aufl. 2017, § 27 Rn. 40.
  6. Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Aufl. 2016, § 35 Rn. 78.
  7. Müller, in: Maslaton, Windenergieanlagen, 2. Aufl. 2018, Kap. 1 Rn. 97.
  8. Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Aufl. 2016, § 35 Rn. 87.
  9. Finkelnburg/Ortloff/Kment, Öffentliches Baurecht, Band I: Bauplanungsrecht, 7. Aufl., 2017, § 27 Rn. 51.
  10. Finkelnburg/Ortloff/Kment, Öffentliches Baurecht, Band I: Bauplanungsrecht, 7. Aufl. 2017, § 22 Rn. 11.
  11. Finkelnburg/Ortloff/Kment, Öffentliches Baurecht, Band I: Bauplanungsrecht, 7. Aufl. 2017, § 27 Rn. 30.
  12. BVerwG, Urt. v. 25.2.1977, Az.: IV C 22.75 = BVerwGE 52, 122 (127).
  13. Müller, in: Maslaton, Windenergieanlagen, 2. Aufl. 2018, Kap. 1 Rn. 102.
  14. BVerwG, Urt. v. 18.11.2004, Az.: 4 C 1/04 = NVwZ 2005, 328 (330).
  15. Müller, in: Maslaton, Windenergieanlagen, 2. Aufl. 2018, Kap. 1 Rn. 102.
  16. Jäde, JuS 1999, 961 (965).