Zivilprozessrecht im 2. Staatsexamen: Klage auf vorzugsweise Befriedigung nach § 805 ZPO
Der Inhaber eines besitzlosen Pfand- oder Vorzugsrechtes am Gegenstand der Zwangsvollstreckung kann die Verwertung durch einen Dritten nicht aufhalten, § 805 Abs. 1 S. 1 ZPO. Mit der Möglichkeit der Klage auf vorzugsweise Befriedigung aus dem Erlös der Zwangsvollstreckung nach § 805 Abs. 1 S. 2 ZPO wird die ihm durch seine dingliche Rechtsstellung gewährte Priorität in der Zwangsvollstreckung gewahrt. Sie wird auch als Vorzugsklage bezeichnet.[1]
Es handelt sich um eine prozessuale Gestaltungsklage. Erst das stattgebende Urteil begründet das Recht auf vorzugsweise Befriedigung.[2]
Zulässigkeit
[Bearbeiten]Statthaftigkeit
[Bearbeiten]Die Klage ist statthaft, wenn die Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung in bewegliche Sachen betrieben wird an denen der Kläger geltend macht, ein Pfand- oder Vorzugsrecht zu haben, das gegenüber dem Pfändungspfandrecht des Vollstreckungsgläubigers Priorität hat. Die denkbaren Rechte ergeben sich aus § 50, § 51 InsO. Klausurrelevant ist vor allem das Vermieterpfandrecht aus § 562 BGB. Über den Wortlaut von § 805 ZPO hinaus ist die Klage auch und erst recht statthaft, wenn der Kläger sich auf ein Besitzpfandrecht beruft (sog. "kleine Drittwiderspruchsklage").[3]
Zuständigkeit
[Bearbeiten]Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 805 Abs. 2 ZPO,[4] die sachliche aus § 6 ZPO. Maßgebend ist der niedrigste dieser drei Werte: Höhe der Klageforderung, Höhe der Vollstreckungsforderung, Wert des Pfandgegenstands. Der örtliche Gerichtsstand ist nach § 802 ZPO ausschließlich.
Rechtsschutzbedürfnis
[Bearbeiten]Es besteht ab Beginn der Zwangsvollstreckung bis zur Auskehr (nicht bereits Hinterlegung) des Erlöses. Grund ist, dass vor Beginn der Vollstreckung noch gar nicht klar ist, dass die Rechte des Dritten betroffen sein werden und nach Auskehr des Erlöses auch keine vorrangige Befriedigung mehr an ihm möglich ist, da der Vollstreckungsgläubiger schon befriedigt ist.
Sperrwirkung gegenüber materiell-rechtlichen Ansprüchen
[Bearbeiten]Eine unbedingte Klagenhäufung mit materiell-rechtlichen Ansprüchen wegen der Unrechtmäßigkeit der Zwangsvollstreckung ist unzulässig. § 805 ZPO ist bis zur Auskehr des Erlöses der speziellere und daher vorrangige Rechtsbehelf.[5]
Begründetheit
[Bearbeiten]Die Klage ist begründet, wenn die Parteien sachbefugt, also aktiv- bzg. passivlegitimiert sind, der Kläger ein Pfand- oder Vorzugsrecht hat, das dem Pfändungspfandrecht des beklagten Vollstreckungsgläubigers im Rang vorgeht und keine Einwendungen des Beklagten der Geltendmachung entgegenstehen.[6]
Sachbefugnis
[Bearbeiten]Der Kläger ist sachbefugt, wenn er nicht an der Vollstreckung beteiligt ist und ein Pfand- oder Vorzugsrecht im Sinn des § 805 ZPO geltend macht, der Beklagte, wenn er Vollstreckungsgläubiger ist. Hat der Vollstreckungsschuldner der vorzugsweisen Befriedigung des Klägers widersprochen, ist auch er passivlegitimiert, § 805 Abs. 3 ZPO.
Pfand- und Vorzugsrecht
[Bearbeiten]Infrage kommen vorrangig die gesetzlichen besitzlosen Pfandrechte:
Auch Besitzpfandrechte können den Anspruch begründen, wenn der Besitz Pfandgläubiger oder Gerichtsvollzieher abhanden gekommen ist, oder der besitzende Pfandrechtsgläubiger die Klage nach § 805 ZPO als "Minus" zur Drittwiderspruchsklage erhebt.[7]
Vorzugsrechte sind z.B.
- Zurückbehaltungsrechte wegen Verwendungen zum Nutzen einer Sache, § 51 Abs. 2 InsO, wie z.B. § 273 Abs. 1, § 994, § 1000 S. 1 BGB
- kaufmännische Zurückbehaltungsrechte, § 369 ff. HGB
Vorrang der Rechte des Klägers
[Bearbeiten]Der Vollstreckungsgläubiger hat mit der Pfändung ein Pfändungspfandrecht erlangt, § 804 Abs. 1 ZPO, dessen Rang sich aus § 804 Abs. 2, 3 ZPO ergibt. Die Rangfolge lautet:
- gutgläubig erworbene nachträgliche Pfandrechte, § 1208 BGB
- Privilegierte Pfand- und Vorzugsrechte, insbesondere rechtsgeschäftliche und gesetzliche Pfandrechte, auch das Pfändungspfandrecht
- Nicht privilegierte Vorzugsrechte, v.a. das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB
Innerhalb der jeweiligen Gruppe gilt nach § 804 Abs. 3 ZPO das chronologische Prioritätsprinzip. Regelkonstellation in der Klausur ist, dass der Kläger ein bereits vor der Pfändung und damit vor der Entstehung des Pfändungspfandrechts bestehendes eigenes privilegiertes Pfandrecht behauptet, das damit vorrangig ist.
Beweislast
[Bearbeiten]Die Beweislast für das Bestehen des vorrangigen Pfand- oder Vorzugsrechts trägt der Kläger. Beim Vermieterpfandrecht genügt dabei der Beweis, dass die durch das Pfandrecht gesicherte Mietforderung entstanden ist, nicht bewiesen werden muss die Negativtatsache, dass sie nicht zwischenzeitlich erloschen ist.[8]
Tenor
[Bearbeiten]Der stattgebende Tenor zur Hauptsache lautet:
- Der Kläger ist aus dem Reinerlös des am 21. Januar 2014 gepfändeten Gemäldes "Munch - Der Schrei" bis zum Betrag von € 57.500,00 vor dem Beklagten zu befriedigen.
Das Urteil ist für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Die Sicherheit muss beziffert werden, weil § 709 S. 2 ZPO nicht gilt und bemisst sich nach dem Wert der Forderung des Klägers oder dem Wert der gepfändeten Sache, wenn dieser niedriger ist.
Fußnoten
[Bearbeiten]- ↑ Lackmann, Zwangsvollstreckungsrecht, 9. Aufl. 2010, Rn 663
- ↑ MusielakZPO-Becker, 10. Aufl. 2013, § 805 Rn. 1
- ↑ MusielakZPO-Becker, 10. Aufl. 2013, § 805 Rn. 6
- ↑ Vollstreckungsgericht ist das Gericht nach § 764 Abs. 2 ZPO
- ↑ Lackmann, Zwangsvollstreckungsrecht, 9. Aufl. 2010, Rn 634, 579
- ↑ MusielakZPO-Becker, 10. Aufl. 2013, § 805 Rn. 3
- ↑ Lackmann, Zwangsvollstreckungsrecht, 9. Aufl. 2010, Rn 639
- ↑ BGH NJW 1986, 2426