Astronomische Berechnungen für Amateure/ Distanzen/ Erdglobus
Die Erde als Kugel
[Bearbeiten]Für einfache, wenig genaue Rechnungen kann man die Erde als eine Kugel betrachten. Jeder Ort auf der Erdoberfläche lässt sich durch die Angabe von drei Koordinatenwerten eindeutig bestimmen: die (geografische) Länge λ, vom Meridian durch Greenwich als Nulllinie (0°) nach Osten und nach Westen je bis 180° gezählt (oft nach Osten positiv, nach Westen negativ) und die (geografische) Breite φ, nach Norden bis zum Nordpol positiv bis +90°, nach Süden bis zum Südpol negativ bis –90° gezählt. Als dritte Koordinate kommt die Höhe über der Kugeloberfläche hinzu. Gewöhnlich wird von der Höhe über Meer (ü.M.) oder über Normalnull gesprochen.
Sprung zurück nach oben.
Die Erde als Rotationsellipsoid
[Bearbeiten]Steigen die Ansprüche an die Genauigkeit, muss die Abweichung der Erdoberfläche von der Kugelgestalt berücksichtigt werden. In den allermeisten Fällen genügt es für die Ansprüche von Amateuren, die Erde als Rotationsellipsoid zu betrachten. Ein Rotationsellipsoid als Drehkörper entsteht, wenn eine Ellipse mit grosser Halbachse a und kleiner Halbachse b um letztere als Drehachse rotiert. M.a.W.: ein Querschnitt durch die beiden Pole ergibt eine Ellipse, ein Schnitt senkrecht zur Achse einen Kreis als Schnittfläche. Die beiden in der Äquatorebene gelegenen Achsen des Rotationsellipsoids sind gleich gross und gleich dem Äquatorradius der Erde a = 6378.137 000 km[1]. Die dritte, zu den Polen weisende Achse ist dagegen verkürzt. Sie ist gleich dem Polradius der Erde b = 6356.752 314 km. Das Verhältnis
heisst Abplattung. Die Zahlenwerte beziehen sich auf das Erd-Ellipsoid WGS 84, das zB. den GPS-Koordinaten zugrunde liegt[2]. Die numerische Exzentrizität ε eines Erdmeridians ist gegeben durch
und .
Zur Illustration dient die nebenstehende Grafik. Wie im Falle der Kugel werden die geografischen Koordinaten definiert: die geografische Länge λ ist der Winkel zwischen der Richtung zum Meridian NGA2S durch den Referenzort Greenwich G und zum Meridian NPA3S durch den betrachteten Ort P, gemessen in der Äquatorebene mit dem Erdmittelpunkt als Scheitel. Die Vorzeichenkonventionen sind die gleichen wie auf der Kugel. Für die Festlegung der geografischen Breite φ gehen wir von folgender Betrachtung aus. nPs ist die Horizontebene eines Beobachters im Punkt P auf der Erdoberfläche, Z seine Zenitrichtung. PN' verläuft parallel zur Erdachse und weist zum Himmelsnordpol. Verlängert man ZP ins Erdinnere, so trifft die Verlängerung in der Regel nicht den Erdmittelpunkt M, sondern schneidet den Äquatordurchmesser bei Q. Die Strecke MQ kann bis zu 20 km betragen. A3QP oder, was das gleiche ist, nPN' ist die geografische Breite. Als dritte Grösse kommt noch die Höhe H über dem Ellipsoid hinzu, gemessen auf der Geraden PZ.
Wird die Breite φ' dagegen vom Erdmittelpunkt aus gemessen (sog. geozentrische Breite), so resultiert ein etwas kleinerer Wert. Nur am Äquator und an den Polen stimmen die beiden Werte überein. Für einen Ort auf der Oberfläche des Ellipsoids gilt:
Die Strecke ρ = MP ist der Abstand des Punktes P vom Erdmittelpunkt M. Im allgemeinen befindet sich der Beobachter in der Höhe H über dem Ellipsoid. Berechnen wir tägliche Parallaxen, Finsternisse oder Bedeckungen, dann benötigen wir die Grössen ρ ∙ sin ϕ' und ρ ∙ cos ϕ'. Über die Hilfsgrösse u berechnen wir diese Ausdrücke mit folgenden Formeln:
Entsprechend dem Vorzeichen von ϕ bzw. ϕ' ist ρ ∙ sin ϕ' > 0 auf der nördlichen Hemisphäre und ρ ∙ sin ϕ' < 0 auf der südlichen Hemisphäre. ρ ∙ cos ϕ' > 0 gilt für alle Breiten. ρ ist der Abstand des Beobachters in P vom Erdmittelpunkt, und zwar in Einheiten des Äquatorradius a.
Kennen wir von einem Punkt auf dem Ellipsoid die geografische Breite ϕ, so lässt sich die Differenz ϕ – ϕ' mittels der folgenden Formel berechnen:
Wenn die Hilfsgrösse |u| = 45° erreicht, dann hat diese Differenz ihren grössten Wert. Bezeichnen wir in diesem Fall die zugehörige geographische Breite mit ϕ0 bzw. die geozentrische Breite mit ϕ'0, so gilt:
Damit finden wir , den gleichen Wert, den wir auch mit der voran stehenden allgemeinen Formel für die Differenz finden.
Für einen Ort auf der Oberfläche des Rotationsellipsoids kann die Entfernung ρ mit folgender Formel berechnet werden:
Die Winkelgeschwindigkeit der Erde bei ihrer Drehung um die eigene Drehachse beträgt ω = 7.292 115 07 ∙ 10–5 rad/sec. Genauer gesagt müsste man sagen: ω hatte zum Zeitpunkt 2000.0 diesen Wert (was einer siderischen Tageslänge von 86 164.100 s entspricht), denn die Rotationsdauer nimmt ja ab und ist gleichzeitig noch unregelmässigen Schwankungen unterworfen.
Ein Breitenkreis in der Breite φ hat den Radius Rb:
Eine Kugel ist dadurch charakterisiert, dass die Krümmung in jedem Punkt der Oberfläche in alle Richtungen gleich gross ist. Anders das Rotationsellipsoid. Da hängt die Krümmung in einem Punkt P davon ab, in welche Richtung wir sie untersuchen. Eine Ausnahme bilden nur die beiden Pole, wo die Krümmung wie bei einer Kugel in alle Richtungen gleich bleibt. Sonst kann man wie bei jeder gekrümmten Fläche nach den beiden Hauptkrümmungsrichtungen in einem beliebigen Punkt P auf der Oberfläche fragen. Jeder Punkt mit Ausnahme der Pole weist zwei solche Richtungen auf: die eine Richtung ist gegeben durch den Meridian, der durch die beiden Pole und P läuft, und die andere ist senkrecht zum Meridian durch den Punkt P. Die beiden zueinander im rechten Winkel stehenden Krümmungskreise haben die Radien N = RQ (Querkrümmung) und M = RM (Meridiankrümmung):
Man erkennt folgende Gesetzmässigkeiten:
- Für φ = 0° (also am Äquator) erreichen die beiden Krümmungsradien ihren kleinsten Wert mit RQ = a und RM = a ∙ (1 – ε²); am Pol haben die beiden Krümmungsradien ihren grössten Wert, nämlich , in Übereinstimmung mit der Aussage, dass am Pol die Krümmung in alle Richtungen gleich gross ist.
- RQ ist nie kleiner als RM, meist sogar grösser. Nur an den Polen sind die beiden Werte gleich.
- Für φ ≈ 35° wird RM = b, für φ ≈ 55° wird RM = a.
Für einen Punkt in der Höhe H über dem Rotationsellipsoid der Erde kann man dreidimensionale, geozentrische kartesische Koordinaten [XG, YG, ZG] berechnen, wenn die geografischen Koordinaten λ und φ sowie die Höhe H über dem Rotationsellipsoid bekannt sind:
worin RQ der oben bestimmte Radius der Querkrümmung ist.
Sprung zurück nach oben.
Abstand zweier Punkte auf der Erdoberfläche
[Bearbeiten]Für Näherungsrechnungen oder Rechnungen, die keine hohen Genauigkeitsansprüche stellen, kann man die Erde als Kugel behandeln und den Abstand zweier Punkte mit den Verfahren der Sphärischen Trigonometrie bestimmen: hat der erste Ort A die Koordinaten (λA, φA) und der zweite Ort B die Koordinaten (λB, φB), und liegen beide Orte auf der Kugeloberfläche, so liefert der sphärische Cosinussatz für den Winkel ψ zwischen den beiden Orten
Mit dem Erdradius R⊕ = 6371 km erhalten wir daraus für die Distanz s zwischen A und B:
Wenn ψ sehr klein wird, dann stellt der sphärische Cosinussatz hohe Ansprüche an die Genauigkeit der Funktion arccos.
Auf dem Ellipsoid mit grosser Halbachse a und Abplattung f gibt es keine geschlossene Formel, um die Länge einer Kurve von A nach B zu berechnen. Es gibt jedoch Näherungslösungen, die immerhin ein besseres Ergebnis als die Kugelnäherung liefern. Eines davon ist das Verfahren von Andoyer, das ein Resultat mit einer Genauigkeit in der Grössenordnung von f2 ergibt:
Wiederum seien der Ort A mit den Koordinaten (λA, φA) und der Ort B mit den Koordinaten (λB, φB) gegeben. Dann berechne man die Hilfsgrössen F, G, L, S, C, ω, R, D, H1 und H2:
Mit diesen Hilfsgrössen berechnet sich der gesuchte Abstand s zu:
Der Abstand zweier Meridiane ist gleich der Länge des von ihnen ausgeschnittenen Breitenkreisbogens. Dieser Abstand ist abhängig von der geografischen Breite. Für den Abstand zweier Meridiane, die genau 1° auseinander liegen, finden wir am Äquator den Wert 111.32 km; in 45° Breite (z.B. Mitteleuropa) 78.85 km und in 66⅔° Breite (mittleres Norwegen, nördliches Schweden) noch 44.22 km. Der Abstand zweier Breitenkreise wird längs eines von ihnen geschnittenen Meridians gemessen und ist nach dem eingangs Gesagten nicht mehr direkt berechenbar. Liegen die beiden Breitenkreise aber nur sehr wenig auseinander – z.B. 1° –, dann können wir ihren Abstand als Bogenlänge auf dem Krümmungskreis berechnen. Im Gegensatz zur Kugel wird dieser Abstand damit auf dem Ellipsoid ebenfalls breitenabhängig: er ist in geringen Breiten (Tropen) etwas kleiner als in hohen Breiten. Am Äquator finden wir dafür den Wert 110.57 km, in 45° Breite 111.13 km und in 66⅔° Breite 111.52 km. Der Abstand zwischen dem 89. Breitenkreis und dem Pol ist dann 111.69 km.
Sprung zurück nach oben.
Steigerung der Genauigkeit
[Bearbeiten]Für sehr genaue Rechnungen müssen weitere Effekte berücksichtigt werden: Die Richtung der Normalen auf die Horizontebene zum Zenit muss nicht mit der Richtung übereinstimmen, die ein Lot anzeigt. Eine solche Lotabweichung ist ein Hinweis darauf, dass an dieser Stelle der wahre Erdkörper – das sog. Geoid – von einem Rotationsellipsoid abweicht. In den Alpen ist dieser Effekt am grössten und kann im Maximum bis zu 1' = 60" erreichen, im Mittel etwa die Hälfte davon. Ebenfalls beachtet werden muss, dass der Nordpol nicht ein fester Punkt ist, sondern im Laufe der Zeit eine Torkelbewegung um eine mittlere Lage ausführt, die sog. Polbewegung. Die Werte werden regelmässig in den Bulletins des IERS publiziert. Damit nicht zu verwechseln ist die Tatsache, dass geografischer und magnetischer Pol nicht miteinander übereinstimmen und eine Kompassnadel daher nicht genau nach geografisch Nord weist. Dieser als Missweisung oder (magnetische) Deklination bezeichnete Richtungsunterschied ist auf genauen Karten angegeben.
Sprung zurück nach oben.
Höhe über Meer
[Bearbeiten]Die Höhe korrekt zu definieren ist eine schwierige Aufgabe. Im Idealfall würde Normalnull der Oberfläche des Rotationsellipsoids entsprechen. Wenn die Erde zudem einen vollkommen homogenen Aufbau hätte, so wäre dies die (mittlere) Oberfläche der Meere, und Höhenangaben wären eindeutig. Da dies nicht der Fall ist, passen sich die Oberflächen der Gewässer dem lokalen Schwerefeld an. Da kann es schon mal vorkommen, dass das Wasser von einem Ort mit etwas geringerem Abstand von der Oberfläche des Rotationsellipsoids zu einem Punkt mit etwas grösserem Abstand fliesst – vorausgesetzt, am „höheren“ Ort ist das Schwerefeld stärker und „suggeriert“ dem Wasser so eine tiefere Lage. Wichtig ist, dass bei Höhenangaben immer genau angegeben werden muss, was man als Nulllage wählt. Das GPS-System gibt die Höhe über dem Rotationsellipsoid an. Die Höhenangaben in den einzelnen Ländern (z.B. für Karten und Vermessungen) beziehen sich auf den Pegelstand an einem ausgewählten Ort: die Schweiz bindet ihren Referenzpunkt – den Repère Pierre du Niton im Hafenbecken von Genf – an den Pegel von Marseille, Deutschland an den Pegel von Amsterdam und Österreich an jenen von Triest. Zudem legen die Länder nicht immer den gleichen Referenzkörper zugrunde, von dem aus sie die Höhe messen. Dies kann zu merklichen Abweichungen in der Höhenangabe der verschiedenen Länder führen. Auffällig werden solche Unterschiede vor allem in Grenznähe, wo sich Karten mit ihren Angaben der verschiedenen Höhen zweier Länder überlappen können.
Die wichtigste Konsequenz ist aber die, dass zwischen den Höhenangaben auf der Basis der Nivellierung mit Bezug auf den Repère Pierre de Niton und den Höhenangaben, die sich auf das WGS84-Ellipsoid beziehen, eine Differenz von 45 bis 50 m entsteht. Um so viel sind WGS84-Koordinaten in der Schweiz höher als LV-Koordinaten. Genauer: die Differenz beträgt 46 m im Nordosten der Schweiz (Bodenseeregion; östlich von Samnaun) und 53 m im Südwesten (Genf). Dazwischen nimmt sie regelmässig zu.
Wie heikel diese Geschichte mit den Höhenangaben ist, erfuhren schweizerische und deutsche Ingenieure 2002/2003: zwischen dem deutschen Städtchen Laufenburg, am Nordufer des Rhein gelegen, und dem schweizerischen Städtchen gleichen Namens am Südufer des Flusses sollte eine neue Brücke über den Fluss gebaut werden. Zwar war den beteiligten Ingenieuren klar, dass die Referenzsysteme von Deutschland und der Schweiz bezüglich Höhenmessung nicht übereinstimmen – immerhin macht die Differenz rund 27 cm aus. Nur wurde der Unterschied in die falsche „Richtung“ korrigiert: statt den Unterschied auszugleichen, wurde er verdoppelt. Im letzten Moment wurde entdeckt, dass die Brücke 54 cm zu tief über den Rhein wächst, und so wurde auf deutscher Seite die Zufahrt rund einen halben Meter tiefer gelegt, um den Rechenfehler wieder auszugleichen[3].
Sprung zurück nach oben.
Übungen
- Das 1.8 m Teleskop im Lowell Observatory in Flagstaff (AZ) hat die Koordinaten λ = –111° 32' 09.3", φ = +35° 05' 48.6", H = 2206 m. Berechnen Sie für diesen Beobachtungsort ρ ∙ sin ϕ' und ρ ∙ cos ϕ', ρ, φ und φ' sowie die räumlichen kartesischen Koordinaten X, Y und Z.
- Zeigen Sie: auf der geografischen Breite von ungefähr 35° (genauer: 35.310°) erreicht der Radius der Meridiankrümmung den Wert , auf der geografischen Breite von ungefähr 55° (genauer: 54.781°) den Wert RM = a.
- Das Gemini North Teleskop auf Mauna Kea (Hawaii) hat die Koordinaten λ = –155° 28' 08.6", φ = +19° 49' 25.7", H = 4213 m, das Gemini South Teleskop in Cerro Pachon (Chile) hat die Koordinaten λ = –70° 44' 12.1", φ = –30° 14' 26.7", H = 2722 m (beide Datensätze im WGS 84). Berechnen Sie den Abstand der beiden Teleskope nach der einfachen Methode auf einer Kugeloberfläche bzw. nach dem Verfahren von Andoyer.
Nachweise:
- ↑ Die Zahlenwerte entstammen der Publikation »Department of Defense World Geodetic System 1984«, National Imagery and Mapping Agency, Technical Report NIMA TR8350.2, 3 January 2000
- ↑ WGS 84: World Geodetic System 1984; GPS: Global Positioning System
- ↑ Zeitungsartikel im Weser Kurier in Bremen, Zeitungsartikel in der Süddeutschen Zeitung.