Astronomische Berechnungen für Amateure/ Distanzen/ Kosmos
Die äussere Grenze des Sonnensystems wird von der sog. Oort'schen Wolke gebildet, aus der die langperiodischen Kometen stammen. Der Ausdruck „äussere Grenze“ besagt, dass die Sonne diese Objekte durch ihre Anziehungskraft noch an sich zu binden vermag. Bei Objekten, die noch weiter entfernt sind, ist dies nicht mehr der Fall ist. Diese Grenze liegt bei ca. 100 000 AE. Ausserhalb beginnt der interstellare Raum unserer Galaxis, und noch weiter draussen liegt der intergalaktische Raum. In diesem Bereich führen Distanzangaben in der Einheit AE schnell zu grossen Zahlenwerten. Für diesen Bereich sind darum neue Distanzeinheiten gesucht.
Viele Amateure benutzen in diesem Bereich das Lichtjahr – abgekürzt LJ oder ly – als Entfernungsmass. Es ist jene Strecke, die das Licht mit einer Geschwindigkeit von knapp 300 000 km/s in einem Jahr zurücklegt. In Kilometern ausgedrückt sind das 9.460 54 ∙ 1012 km oder 63 200 AE. Die Oort'sche Wolke hat ihre äussere Grenze also bei rund 1.5 Lichtjahren. Anders gesagt: wenn wir einen Kometen in der Oort'schen Wolke beobachten könnten, würden wir ihn an dem Ort und in dem Zustand sehen, wo und wie er vor 1½ Jahren war. Unsere eigene Galaxis hat einen Durchmesser von rund 100 000 Lichtjahren, das Sonnensystem befindet sich zwischen 25 000 und knapp 30 000 Lichtjahre vom galaktischen Zentrum entfernt. Die nächste grosse Galaxie, der Andromedanebel M31, befindet sich in einer Entfernung von 2.4 bis 2.9 Millionen Lichtjahren. An diesen Angaben sehen wir ein Grundproblem der Distanzbestimmung im Kosmos: die Distanzen sind mit grossen Unsicherheiten behaftet – umso grösser, je weiter entfernt ein Objekt ist. Es fehlt eben die Möglichkeit, ein Messband auszulegen.
Astronomen ziehen als Entfernungsmass das Parsec – abgekürzt pc – vor: es ist jene Distanz, aus der der Radius der Erdbahn (1 AE) unter einem Winkel von 1" gesehen werden könnte. Oder anders ausgedrückt: ein (hypothetisches) Objekt in dieser Entfernung hätte bezogen auf die Erdbahn eine Parallaxe von 1" (jährliche Parallaxe). Es gilt:
Ein Parsec ist das Äquivalent von 206 260 AE oder 3.261 56 Lichtjahren. In unserer Galaxis werden die Distanzen in kpc = 1000 pc gemessen, ausserhalb in Mpc = 1 000 000 pc.
Der nächste Fixstern Proxima Centauri ist vom Sonnensystem 4.22 ly oder 1.295 pc entfernt. Es handelt sich um einen roten Zwergstern der scheinbaren Helligkeit 11.05m. Vermutlich gehört er zum Mehrfachsystem α Cen im Sternbild des Zentauren. Die Distanz besagt umgekehrt, dass die jährliche Parallaxe von Proxima Centauri 0.772" beträgt. So klein dieser Wert ist, so ist er doch messbar und damit Grundlage der Entfernungsbestimmung. Dies ist allerdings nur mit den nächsten Fixsternen möglich. Im übrigen sind weder α Cen noch Proxima Centauri von Mitteleuropa aus sichtbar.
Der Zusammenhang zwischen der jährlichen Parallaxe π eines Fixsterns und seiner Entfernung Δ in pc ist einfach: wegen sin π ≈ π für kleine Winkel π (was für Fixsternparallaxen immer erfüllt ist) gilt:
Die jährliche Parallaxe ist das Abbild der Bewegung der Erde um die Sonne. Als Folge beschreiben die nächsten Sterne eine kleine Ellipse an der unendlich weit entfernten Himmelskugel. Es ist sozusagen das Pendant der Planetenschleifen im Sonnensystem. 1838 gelang es erstmals dem deutschen Astronomen Friedrich Wilhelm Bessel, beim Stern 61 Cyg (im Sternbild Schwan) die Parallaxe zu messen – 0.3" war das Ergebnis.
Die Fixsternparallaxen sind zu unterscheiden von ihrer Eigenbewegung. Darunter ist folgendes zu verstehen: trotz ihres Namens sind Fixsterne nicht wirklich fix, nur bewegen sie sich sehr langsam vor dem Hintergrund der Himmelskugel. Es handelt sich dabei um die Bewegung um das Zentrum der Galaxis. Unser Sonnensystem braucht für einen Umlauf bei einer Geschwindigkeit von 250 km/s mehr als 210 Millionen Jahre. Die Bewegung eines jeden Sterns kann in zwei Komponenten zerlegt werden: die eine Komponente zeigt in Richtung der Verbindungsstrecke Sonnensystem – Stern und gibt an, wie schnell sich der Stern von uns wegbewegt oder auf uns zubewegt. Diese Komponente kann direkt aus dem Spektrum abgeleitet werden, denn sie bewirkt eine geschwindigkeitsabhängige Verschiebung der Spektrallinien zu grösseren Wellenlängen, wenn sich der Stern von uns entfernt („Rotverschiebung“) bzw. zu kürzeren Wellenlängen, wenn er sich uns nähert. Die zweite Komponente steht senkrecht dazu und gibt an, in welcher Richtung und mit welchem Betrag sich die Position des Sterns an der Himmelskugel verändert. Jedoch sind diese Beträge so klein, dass sich erst im Laufe von Jahrtausenden Veränderungen am Himmel ergeben, die schon dem blossen Auge auffallen. Für genaue Rechnungen sind sie aber selbst für kurze Zeitabstände zu berücksichtigen. Dies gilt z.B., wenn Sternpositionen eines Katalogs von der einen Standardepoche auf eine andere umgerechnet werden sollen. Der Stern mit der grössten Eigenbewegung, die bis heute gemessen wurde, ist Barnards Pfeilstern. Mit 10.34" pro Jahr verschiebt er sich so schnell wie kein anderer vor der Himmelskugel. Es handelt sich um einen roten Zwerg der scheinbaren Helligkeit 9.5m im Sternbild Ophiuchus (Schlangenträger). Als viertnächster Stern finden wir ihn in einer Entfernung von 1.84 pc (5.98 ly).
Noch einen anderen Hintergrund hat die Aberration, denn die Ursache ist die Bewegung der Erde um die Sonne (jährliche Aberration) bzw. die Rotation der Erde (tägliche Aberration). Die Erklärung des Effektes (s. nebenstehende Grafik): trifft das einfallende Licht eines entfernten Sternes auf die Öffnung eines Teleskops, so bewegt sich das Instrument weiter, während das Licht durch den Fernrohrtubus läuft. Damit es auch wirklich in der Tubusachse bleibt und das Okular erreicht, muss das Fernrohr leicht in Bewegungsrichtung geneigt werden. Die Aberrationskonstante für die jährliche Aberration – dh. der maximale Winkel, um den man das Teleskop neigen muss – beträgt 20.495 52". Die Konstante für die tägliche Aberration beträgt nur 0.32", so dass dieser Effekt in der Regel vernachlässigt werden kann. Als Folge der Aberration beschreiben alle Sterne (unabhängig von ihrer Entfernung) eine Ellipse auf der unendlich weit entfernten Himmelskugel, deren grosse Halbachse 20.5" (jährliche Aberration) bzw. 0.32" (tägliche Aberration) misst. Der Effekt wurde 1725 vom englischen Astronomen James Bradley entdeckt, der aber eigentlich die Parallaxe messen wollte.
Theoretisch gibt es noch die nichtperiodische säkulare Aberration. Sie rührt von der Relativbewegung des Sonnensystems gegenüber seiner Umgebung her. In der Praxis kann sie aber vernachlässigt werden.
Übungen
- Wie gross ist die jährliche Parallaxe für den äussersten Planeten Neptun? Wie gross für Pluto?
- Wie gross ist die Geschwindigkeit von Barnards Pfeilstern in tangentialer Richtung in km/s?
- Verifizieren Sie die Konstante der täglichen Aberration!
- Im Wikipedia-Artikel über die Aberration steht über Bradleys Entdeckung: „Bradley war jedoch imstande, die scheinbaren Ortsveränderungen – welche quer zu seiner Erwartung verliefen – richtig zu deuten.“ In einem im Internet zugänglichen Lehrtext der Uni Freiburg[1] steht: „Die Bewegung der Erde um die Sonne ruft eine jährliche Aberration der Sterne im geozentrischen System hervor ähnlich der jährlichen Parallaxe, allerdings mit einer Phasenverschiebung um 90°.“ Was meinen die beiden fett hervorgehobenen Textteile?
- Angenommen, das menschliche Auge könnte die 20.5" der jährlichen Aberration auflösen: wäre sie dann auch von blossem Auge festzustellen, oder ist es nur ein Teleskop-Phänomen?
Nachweis: