Ungarisch/Ungarisch-Grammatik/Passiv
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- passzív szerkezet – Passiv (szenvedő szerkezet)
- Im Deutschen wird das Passiv vor allem mithilfe von „werden“ oder „sein“ gebildet („Das Buch wird gelesen“, „Das Fenster ist geschlossen“) und dient dazu, das „leidende Subjekt“ in den Mittelpunkt zu stellen. Im Ungarischen gibt es dagegen keine eigenständige oder universell gebräuchliche Passivstruktur. Stattdessen verwendet man verschiedene Umschreibungen:
- - unpersönliche aktive Sätze (3. Person Plural)
- - zustandsbeschreibende Ausdrücke mit „van“ + Partizip (meg van csinálva …)
- - reflexive oder intransitive Verben (bezáródik, kinyílik …)
- - seltene, altertümlich-bürokratische Endungen (-atik/-etik, -tatik/-tetik)
- - oder Konstruktionen mit „kerül“ („… törlésre került“)
- All diese Möglichkeiten können je nach Kontext die Bedeutung eines deutschen Passivsatzes wiedergeben.
- 1. Unpersönliche aktive Sätze (3. Person Plural)
- Dies ist die häufigste und unkomplizierteste Form, im Ungarischen eine passivähnliche Aussage zu treffen. Man verwendet die dritte Person Plural, ohne den Handelnden näher zu bestimmen. Im Deutschen entspricht das etwa dem Passiv oder dem unpersönlichen „man“:
- 1. Írják a levelet.
- – Der Brief wird (gerade) geschrieben. / Man schreibt den Brief. / Sie schreiben den Brief.
- 2. Megvizsgálják a gyereket.
- – Das Kind wird untersucht. / Man untersucht das Kind. / Sie untersuchen das Kind.
- 3. Javítják az autót.
- – Das Auto wird repariert. / Man repariert das Auto. / Sie reparieren das Auto.
- Obwohl die Verbform „-ják“ (3. Person Plural) auf Deutsch eigentlich „sie schreiben“ bedeutet, entspricht sie im Kontext häufig einem Passiv oder einem „man“-Satz. Wer genau handelt, bleibt unklar oder ist für den Sprecher nicht wichtig.
- Auch wenn in der Realität nur eine einzelne Person die Handlung ausführt, kann das Ungarische diese 3. Person Plural verwenden, um eine unpersönliche Aussage zu treffen.
- 2. Zustandspassiv mit „van“ + Partizip auf „-va/-ve“
- Eine gängige Möglichkeit, den Zustand auszudrücken, in dem sich etwas nach einer Handlung befindet, ist:
- „Nomen + (meg/be/el ...) van + Partizip (auf -va / -ve)“
- Für Details zu „-va/-ve“ siehe Kapitel Adverbialpartizip („-va/-ve“ - Handlungen geschehen gleichzeitig und nebeneinander)
- Beispiele:
- 1. A levél meg van írva.
- – Der Brief ist geschrieben. (Zustand: Der Brief ist fertig.)
- 2. Az ablak be van csukva.
- – Das Fenster ist geschlossen. (Zustand: geschlossenes Fenster)
- 3. A vacsora már el van készítve.
- – Das Abendessen ist schon zubereitet.
- Diese Konstruktionen ähneln dem Zustandspassiv im Deutschen („Das Fenster ist geöffnet / Das Essen ist fertig gekocht“).
- Wichtig: Nicht jedes deutsche Passiv lässt sich mit „.... van ... -va/-ve“ übersetzen. Diese ungarische Konstruktion betont eher das Ergebnis oder den Zustand, nicht den Vorgang („Das Fenster ist bereits zu“). Sätze wie „Es wurde getanzt“ oder „Er wurde sofort verstanden“ ergeben so keinen natürlichen ungarischen Satz („táncolva volt“ klingt unnatürlich).
- 3. Reflexive bzw. mediopassive Verbformen
- Das Ungarische kennt eine Reihe von Verben, die eine „sich“-Bedeutung oder einen Prozess ausdrücken, bei dem das Geschehen passivisch wirkt, obwohl die Form grammatisch aktiv ist.
- Typische Suffixe: „-ul/-ül“, „-ódik/-ődik“, „-dik“.
- Beispiele:
- • Az ajtó kinyílik.
- – Die Tür geht auf / Die Tür wird geöffnet (wörtlich „Die Tür öffnet sich“).
- • A levél elküldődik.
- – Der Brief wird abgeschickt. (wörtlich: „Der Brief schickt sich weg.“)
- • A probléma megoldódik.
- – Das Problem wird gelöst (bzw. „Das Problem löst sich“).
- • Az étel elkészül.
- – Das Essen wird fertig (wird zubereitet).
- Manchmal klingt das reflexive Verb auch wie ein reines „sich-Verb“:
- • javul – besser werden (wörtlich: „sich verbessern“)
- • épül – gebaut werden (wörtlich: „im Bau entstehen“)
- • sárgul – gelb werden
- • tárul – sich öffnen
- Sie alle haben passivische oder intransitive Nuancen. Im Deutschen übersetzt man sie oft mit „wird gebaut / wird besser / wird gelb / geht auf“.
- 4. (Seltene) Altformen
- -atik/-etik, -tatik/-tetik
- Diese Endungen stammen aus dem Altungarischen. Sie sind heute fast nur noch in gehobenen, veralteten oder amtlichen Texten zu finden und klingen archaisch.
- Beispiele:
- • A törvény elfogadtatik. – Das Gesetz wird verabschiedet. (veraltet / sehr formell)
- • A levél megíratik. – Der Brief wird geschrieben. (sehr altmodisch)
- • A panasz kivizsgáltatik. – Die Beschwerde wird untersucht.
- In der Umgangssprache hört man solche Formen praktisch nie. In offiziellen Dokumenten oder in alten Texten können sie jedoch vorkommen.
- 5. Konstruktionen mit „kerül“ + Substantiv (Sublativ) / Verbalsubstantiv
- Manchmal trifft man auf Sätze wie:
- • Ez az üzenet törlésre került.
- – Diese Nachricht wurde gelöscht. (wörtlich: „Diese Nachricht ist zur Löschung gelangt.“)
- „kerül“ bedeutet eigentlich „(irgendwohin) geraten/gelangen“, kann aber bürokratisch klingen, wenn man daraus ein formelhaftes Passiv bastelt.
- In der Alltagssprache sagt man eher: „Kitörölték az üzenetet.“ (Sie haben die Nachricht gelöscht / Die Nachricht wurde gelöscht).
- 6. Zusammenfassung Passiv
- • Das ungarische Passiv wird meist durch unpersönliche Sätze in der 3. Person Plural oder durch reflexive/intransitive Verben ersetzt.
- • Den Zustand kann man mit „van + Partizip (auf -va/-ve)“ ausdrücken.
- • Archaische Passiv-Endungen (-atik/-etik, -tatik/-tetik) werden kaum noch verwendet.
- • Einige Verben besitzen von Haus aus eine passivische/mediopassive Bedeutung (épül, javul, sárgul …).
- • Man kann ebenfalls „kerül“ + Substantiv/Verbalsubstantiv verwenden, was meist amtlich-bürokratisch klingt.
- Beispielsätze auf einen Blick:
- 1. Írják a levelet. – „Der Brief wird geschrieben / Man schreibt den Brief.“
- 2. A levél meg van írva. – „Der Brief ist (schon) geschrieben.“ (Zustand)
- 3. A levél elküldődik. – „Der Brief wird (sich) verschicken.“ (reflexiv-passivisch)
- 4. A levél elküldetik. – „Der Brief wird abgeschickt.“ (veraltet/formell)
- 5. Ez a hirdetés törlésre került. – „Diese Anzeige wurde gelöscht.“ (bürokratisch)
- 7. „man“ – unpersönliches Subjekt (általános alany)
- Im Deutschen verwendet man „man“, um allgemein Aussagen zu treffen, ohne eine konkrete Person zu benennen. Ungarisch hat kein eigenes Wort, das überall genau „man“ entspricht. Stattdessen werden verschiedene Konstruktionen verwendet:
- a) 3. Person Plural (unbestimmt)
- Der häufigste Weg, „man“ auszudrücken, ist die 3. Person Plural ohne explizites Subjekt:
- • Nem akarják elmondani nekem. – Man will es mir nicht sagen. (wörtlich: „Sie wollen es mir nicht sagen.“)
- • Itt nem dohányoznak. – Hier raucht man nicht / Hier wird nicht geraucht. (wörtlich: „Sie rauchen hier nicht.“)
- • A nyelvet könnyen meg lehet tanulni, ha sokat gyakorolják. – Man kann die Sprache leicht lernen, wenn man sie oft übt. (wörtlich: „... wenn sie oft üben.“)
- b) „Az ember…“
- Für allgemeine Wahrheiten oder Lebenserfahrungen verwendet man oft „az ember“ („der Mensch“):
- • Az ember néha tévedhet. – Man kann sich irren. (wörtlich: „Der Mensch kann sich manchmal irren.“)
- • Az ember soha nem tudhatja. – Man kann es nie wissen.
- c) Unbestimmte Pronomen
- „valaki“, „bárki“
- Um „jemand“ bzw. „jeder“ auszudrücken, nimmt man „valaki“ (irgendjemand) oder „bárki“ (jeder):
- • Valaki csengetett. – Da hat jemand geklingelt. (Man hat geklingelt.)
- • Bárki meg tudja csinálni. – Das kann jeder machen. (Man kann das machen.)
- d) Sonstige unpersönliche Formulierungen
- Häufig umschreibt das Ungarische unpersönliche Aussagen, indem es nominale Ausdrücke mit „kell“, „lehet“, „tilos“, „szabad“ etc. verwendet:
- • Itt várni kell. – Hier muss man warten. (wörtlich: „Hier ist es nötig zu warten.“)
- • Itt nem kell várni. – Hier braucht man nicht zu warten.
- • Itt várni tilos. – Hier darf man nicht warten. / Hier ist Warten verboten.
- • Itt várni szabad. – Hier darf man warten. / Hier ist Warten erlaubt.
- Wenn eine Person eindeutig gemeint ist, passt man das Objekt an:
- • Várnom kell. – Ich muss warten.
- • Várnod kell. – Du musst warten.
- • Várnia kell. – Er/Sie muss warten.
- 8. Reflexivkonstruktionen und „sich“
- Im Deutschen werden reflexive Verben durch Pronomen (mich, dich, sich …) gebildet. Im Ungarischen drückt man Reflexivität oft durch Verbstämme + Suffixe oder eigenständige Verben aus.
- • mos – er/sie wäscht (etwas) vs. mosakszik – er/sie wäscht sich
- • ismer – er/sie kennt vs. ismerkedik – er/sie lernt sich (gegenseitig) kennen
- • javít – er/sie bessert etwas aus vs. javul – es bessert sich / wird besser
- Manche Verben sind von Natur aus reflexiv (örül – er/sie freut sich, berúg – er/sie betrinkt sich).
- Ein weiteres reflexives Pronomen ist „maga“ (für „sich“), beispielsweise:
- • Rosszul érzem magam. – Ich fühle mich schlecht (wörtlich: „Ich fühle mich auf schlechte Weise“).
- Für „einander“ gibt es „egymás“:
- • Segítünk egymásnak. – Wir helfen einander. (Dativform: egymásnak)
- • Egymást szeretik. – Sie lieben einander. (Akkusativ: egymást)
- Diese reflexiven / reziproken Ausdrücke werden im Ungarischen oft anders gehandhabt als im Deutschen.
- 9. Weitere Besonderheiten
- • Das ungarische Partizip auf „-ó/-ő“ (Gegenwartspartizip) wirkt aktiv, kann in der Kombination mit -ható/-hető jedoch passivische Nuancen ergeben („írható“ = schreibbar, also passiv: „kann geschrieben werden“).
- • Das Suffix „-atlan/-etlen“ (z.B. „írhatatlan“) bezeichnet oft „un-...bar“ und hat dadurch auch passiven Sinn („unschreibbar“, „unbeschreiblich“).
- • Bei intransitiven Verben (z.B. „menni“, „jönni“, „futni“) kann man natürlich keine passivischen Formen im klassischen Sinne bilden.
- 10. Beispiele und Übungen
- 1. Das Zimmer wird geputzt.
- – Takarítják a szobát. (3. Person Plural)
- – A szoba ki van takarítva. (Zustand: Das Zimmer ist geputzt.)
- 2. Hier wird gearbeitet. / Man arbeitet hier.
- – Itt dolgoznak.
- 3. Man sagt, dass es morgen regnet.
- – Azt mondják, hogy holnap esni fog.
- 4. Der Text wird übersetzt.
- – Fordítják a szöveget. (man übersetzt den Text)
- – A szöveg le van fordítva. (der Text ist übersetzt – Zustand)
- 5. Die Schüler werden unterrichtet. / Man unterrichtet die Schüler.
- – Tanítják a diákokat.
- 6. Das Problem löst sich / wird gelöst.
- – A probléma megoldódik. (reflexives Verb)
- 7. Das Abendessen ist schon vorbereitet.
- – A vacsora már el van készítve.
- 8. Hier darf man nicht rauchen.
- – Itt nem szabad dohányozni.
- – Itt nem dohányoznak. (3. Person Plural, unpersönlich)
- 9. Das Paket wird verschickt.
- – Küldik a csomagot.
- 10. Man muss warten.
- – Várni kell.
- Zusammenfassung
- • Das Ungarische nutzt keine universelle Passivform wie das Deutsche, sondern umschreibt passivische Aussagen meist mit unpersönlichen aktiven Sätzen (3. Person Plural), reflexiven Verben oder „van + Partizip (-va/-ve)“.
- • Die altmodischen Endungen (-atik/-etik, -tatik/-tetik) sind nur noch in gehobener, veralteter oder amtlicher Sprache zu finden.
- • Für das deutsche „man“ gibt es keine exakte Entsprechung; am häufigsten verwendet man die 3. Person Plural oder verschiedene unpersönliche Ausdrücke (kell, lehet, tilos …).
- • Reflexivität und „sich“-Konstruktionen können im Ungarischen mit speziellen Verbableitungen, „-ódik/-ődik“, „-dik“, „-ul/-ül“, oder mittels „egymás“ (einander), „maga“ (sich) usw. ausgedrückt werden.
- Für deutschsprachige Lernende heißt das: Wenn man auf Deutsch gern ein Passiv oder „man“-Formulierung verwenden würde, lohnt es sich zu überlegen, ob nicht eine ungarische Aktivform (3. Person Plural), eine reflexive Form oder eine Zustandspartikelform (meg van csinálva) den Sinn besser wiedergibt. Diese Vielfalt an Umschreibungen wirkt im Ungarischen deutlich natürlicher als das Streben nach einer direkten (grammatischen) Passivkonstruktion.